Für die „Amalgamierung jüdischer und christlicher Kultur“
Als Forscher und Mediziner, als politischer Reformer und Schriftsteller, als Kunstsammler und als Verfechter der jüdischen Emanzipation war Alexander Haindorf (1784-1862) über die Grenzen Münsters hinaus bekannt. Anlässlich des 150. Todestages des jüdischen Universalgelehrten übergab Helga Böhme, Witwe von Haindorfs Urururenkel Walter Böhme, Haindorfs umfangreiche Privatbibliothek zusammen mit der Sammlung Loeb Böhme am 16. Oktober 2012 im Rahmen eines Festaktes offiziell an die Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB).
Die Sammlung umfasst 2861 Exemplare und gilt als eine der bedeutendsten privaten Gelehrtenbibliotheken in Nordrhein-Westfalen, so Reinhard Feldmann, Experte für historische Bestände an der ULB. Sie umfasst Titel aus Medizin, Naturwissenschaften, Geschichte, Philosophie, Theologie und Jurisprudenz. Vertreten sind aber auch Ökonomie, Staats- und Kameralwissenschaften sowie Hebraica und Judaica – die Bibliothek ist damit nicht nur eine der umfangreichsten erhaltenen Privatsammlungen in der Region mit zahlreichen historischen Glanzstücken, sondern bietet auch einen aufschlussreichen Einblick in das vielseitige Wirken des Gelehrten Alexander Haindorfs. Der im Sauerland geborene Haindorf studierte Medizin, Philosophie und Geschichte, schloss sein Studium 1810 mit einer preisgekrönten Promotionsschrift ab und habilitierte sich bereits im folgenden Jahr, im Alter von 27 Jahren. Seine Karriere in der Lehre begann er als erster jüdischer Privatdozent an der Uni Heidelberg, später kam er nach Münster. Eine Professur wurde Haindorf wegen seiner jüdischen Herkunft zwar verweigert, er war jedoch auch in Münster als erster jüdischer Privatdozent an der Universität (1815-1818) tätig. Nach Auflösung der Universität lehrte er an der Chirurgisch-Medizinischen Lehranstalt (1826-1848) in den Fächern Chirurgie, Geburtshilfe, Anthropologie und Psychiatrie. 1815 errichtete er in der Domstadt eine Praxis als Nervenarzt.
Haindorf engagierte sich im Berliner „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und setzte sich energisch für die Emanzipation und die gesellschaftliche Einbindung der Juden und für die Verbindung von Judentum und Christentum ein – die „Amalgamierung jüdischer und christlicher Kultur“, wie er es selbst nannte. Darüber hinaus zählte er 1831 zu den Gründern des Westfälischen Kunstvereins und tat sich als Kunstkenner und -sammler hervor. Zudem war er Publizist und verfasste neben medizinischen Abhandlungen auch populärwissenschaftliche Schriften.
Die symbolische Übergabe der Bibliothek Haindorf mit der Sammlung Loeb Böhme bildete den abschließenden Höhepunkt eines Festaktes, bei dem in wissenschaftlichen Vorträgen Leben und Wirken des jüdischen Gelehrten beleuchtet wurde. Prof. Dr. Irmgard Müller vom Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum würdigte ihn als Mediziner und Nervenarzt, Prof. Dr. Susanne Freund vom Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam stellte seine Leistungen als Reformer und Verfechter der Judenemanzipation heraus. Die münstersche Journalistin und Autorin Doris Götting las aus Haindorfs Schrift „Versuch einer Pathologie und Therapie der Geistes- und Gemüthskrankheiten“ sowie aus „Beiträge zur Culturgeschichte der Medizin und Chirurgie Frankreichs“, Reinhard Feldmann stellte Haindorf schließlich als Büchersammler und Bibliophilen vor.
Die Bibliothek Alexander Haindorf / Sammlung Loeb Böhme steht als geschlossene Sammlung im Rara-Magazin der ULB und wird nach und nach katalogisiert und digitalisiert. Die Werke sind zur Nutzung in den Handschriftenlesesaal bestellbar. Eine Auswahl digitalisierter Werke aus dieser Sammlung steht im ULB-Portal Digitale Sammlungen zur Verfügung. Die Digitalisierung wird stetig fortgeführt. Alle Informationen gibt es auf der Homepage der ULB: Bibliothek Alexander Haindorf / Sammlung Loeb Böhme