Wer war Fanny Chapman?
If my love makes you truly happy, dearest, then you will have as much of it as this old heart is capable of giving.
Erstaunlicherweise hat die Universitäts- und Landesbibliothek Münster mit ihren Nachlässen nicht nur Westfalica oder WWU-Dokumente zu bieten, vor wenigen Tagen konnten 95 Briefe von Carl Schurz digitalisiert der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Dieses Briefkonvolut wurde bereits 1950 erworben, blieb aber im Wesentlichen unbeachtet, da es sich um Liebesbriefe des prominenten Politikers Carl Schurz handelt. Auch war lange Zeit so gut wie nichts über die Adressatin Fanny Chapman (1846-1924) bekannt. Nun wissen wir ein wenig mehr über die geheimnisvolle Korrespondenzpartnerin, u.a. dank der Historikerin Tammy Schane vom Heritage Conservancy in Doylestown, PA.
Fanny war die jüngste Tochter von Henry Chapman (1804-1891), einem Juristen und Politiker im US-Bundesstaat Pennsylvania. Er war Vater von insgesamt sechs Kindern aus zwei Ehen. Ab ihrem 19. Lebensjahr begleitete Fanny ihre älteste Stiefschwester Elizabeth Chapman Lawrence (1829-1905) auf ausgedehnten Reisen u.a. durch Europa. Diese hatte den vermögenden Diplomaten Timothy Bigelow Lawrence (1826-1869) geheiratet. Reisen und Politik scheinen das Lebenselixier der außerordentlich reichen, kinderlosen und früh verwitweten Elizabeth gewesen zu sein.
Fanny und Carl Schurz begegneten sich wahrscheinlich um 1880 in Washington, DC, wo Elizabeth Chapman Lawrence oft mehrere Monate im Jahr verbrachte. Der verwitwete Schurz verliebte sich in die 17 Jahre jüngere Fanny, was von seiner ältesten Tochter Agathe jedoch auf das Äußerste missbilligt wurde. Die unverheiratete Agathe Schurz führte ihrem Vater den Haushalt. In ihrem Fall beinhaltete das jedoch wesentlich mehr als reine Haushaltsfragen und die Betreuung ihrer jüngeren Geschwister. Als „Dame des Hauses“ empfing sie prominente Zeitgenossen und hatte durch ihren Vater weitreichende Kontakte zu Politikern und Angehörigen der High Society bis hin zu Einladungen in das Weiße Haus. Fürchtete sie um ihre Stellung? Oder um den guten Ruf ihres Vaters, der sie gerne verheiratet gesehen hätte? Womöglich sorgte sie sich auch um das Andenken ihrer verstorbenen Mutter Margarethe Meyer-Schurz (1833-1876), die 1856 in Watertown, Wisconsin den ersten Kindergarten der Vereinigten Staaten gegründet hatte.
Wahrscheinlich verhinderte Agathe die zweite Ehe ihres Vaters. Fanny und Carl konnten sich nur gelegentlich treffen, führten aber eine ca. 20 Jahre dauernde, umfangreiche Korrespondenz, zum größten Teil in Deutsch. Es wird vermutet, dass Agathe als Nachlassverwalterin nach dem Tod ihres Vaters Fanny Chapmans Briefe an Carl Schurz vernichtet hat.
Wenn sie nicht auf Reisen war, lebte Fanny in einem Haus in Doylestown, PA. Ortsansässige sollen sich über die Ehelosigkeit der hübschen Frau gewundert haben. Niemand vermutete eine Beziehung zum prominenten Carl Schurz. Fanny Chapman verbrachte dort auch viel Zeit mit ihrer Stiefschwester Mary Chapman Mercer und deren drei Kindern. Ihre Nichte Elizabeth Mercer heiratete später den Baron Hubert Fidler von Isarborn und ließ sich mit ihm 1902 auf dem neuerbauten Walpurgishof in Oberweidach im Priental (Bayern) nieder. Fanny gab die in ihrem Besitz befindlichen Schurz- Briefe mutmaßlich an deren Tochter Walpurga von Friesen weiter. So gelangte das Konvolut von ca. 1700 Briefen (lt. Angabe Walpurga von Friesens) nach Deutschland. Die Friesens verkauften 1937 Teile ihres Besitzes und gingen ins Ausland. Ab diesem Zeitpunkt ist der Verbleib der Schurz-Chapman-Korrespondenz ungewiss bis 1950 einige der Briefe von der ULB Münster bei einer Auktion ersteigert wurden.
Als Erinnerung an Fanny Chapman bleibt nur wenig. Es finden sich knappe Hinweise u.a. in The Bread Box Papers - unter diesem Titel veröffentlichte Helen Hartman Gemmill 1983 Auszüge aus den Briefen von Fannys Stiefschwester Elizabeth Bigelow Lawrence. Fannys Wohnhaus in Doylestown, PA wurde leider abgerissen. Im Ort existiert allerdings nach immerhin 90 Jahren noch der Fanny Chapman Memorial Pool [en], der 1927 von ihrem Neffen William Mercer der Gemeinde zum Andenken an seine Tante Fanny gestiftet wurde.
Birgit Heitfeld-Rydzik