Geschichte und Bestand

Bibliotheca Wedinghausano-Werlensis

Historische Bestände im kurkölnischen Sauerland

Titelblatt
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Bibliotheken mit historischem Buchgut im kurkölnischen Sauerland sind eher selten. Arnsberg als Nebenresidenz der Kurfürsten von Köln war wohl eher der Jagd- denn der gelehrten Sammelleidenschaft wegen von Bedeutung. Gleichwohl sollte man nicht allzu skeptisch und überheblich auf die Vergangenheit sehen, die uns immerhin eine, wenn auch kleine Anzahl von wichtigen und spannenden Sammlungen überliefert hat.
Von den Resten alter Klosterbibliotheken findet sich in den Propstei-, Pfarr- und Schulbibliotheken des Landes doch noch eine ganze Menge – wenngleich Verstreutes. So verwahren das Gymnasium Laurentianum zu Arnsberg noch Reste der alten Prämonstratenserbibliothek Wedinghausen, das Gymnasium in Attendorn und das dortige Franziskanerkloster Reste des Buchbestandes der ehemaligen Lateinschule, das Gymnasium Petrinum in Brilon, auf die Minoriten zurückgehend, und die Propstei St. Petrus und Andreas in Brilon ebenfalls zwei beachtenswerte Sammlungen. Auch die Pfarrbibliotheken Sankt Laurentius in Erwitte, Sankt Goar in Hesborn sowie Sankt Peter und Paul in Kirchhundem-Rahrbach verfügen über kleine Pfarrbibliotheken. Die wichtigsten Sammlungen mit wertvollem Buchgut aus dem kurkölnischen Sauerland befinden sich aber außerhalb der historischen Landesgrenzen: Die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt verwaltet umfangreiches säkularisiertes Klostergut aus dem Sauerland, Folge der bibliophilen Sammelleidenschaft Großherzog Ludwigs I. von Hessen-Darmstadt, der sich (noch als Landgraf Ludwig X.) die Kostbarkeiten auf dem Huldigungslandtag 1803 in Wedinghausen vorlegen (und einpacken) ließ.

Die Universitäts- und Landesbibliothek Münster verwaltet u.a. die ehemalige Regierungsbibliothek Arnsberg mit umfangreichen Beständen aus den säkularisierten Klöstern des Sauerlandes: Es sind zu nennen die Klöster und Stifte der Kapuziner in Brenschede (Kloster Brunnen), der Franziskaner in Geseke, der Kreuzherren in Glindfeld, der Benediktiner in Grafschaft, der Kapuziner in Rüthen, der Praemonstratenser in Wedinghausen und auch der Kapuziner in Werl. Die Erzbischöflich-Akademische Bibliothek in Paderborn betreut überwiegend Kloster- und Pfarrbibliotheken aus dem Fürstbistum Paderborn, einige (Teil-)Sammlungen aus dem ehemaligen kurkölnischen Raum, so die Bibliotheken von Sankt Johann Baptist in Attendorn, Sankt Pankratius in Belecke, Sankt Cyriakus in Geseke, Sankt Peter und Paul in Kirchundem sowie einen kleinen Bestand aus Wedinghausen.

Wie alles begann...

Die Konzeption für die Sicherung und Erschließung dieser wertvollen Sammlung der Propstei Sankt Walburga wurde in enger Abstimmung mit Propst Michael Feldmann entwickelt. Die Bestände sollten in ihrem historischen Aufstellungskontext nicht verändert werden, das heißt es wurde nicht die Aufstellungssystematik benutzt, die für die Kloster- und Pfarrbibliotheken Gravenhorst, Milte und Clarholz entwickelt wurde. Statt dessen wurden verbale Sacherschließungshilfen gebildet, die in der online-Recherche und als Register zum gedruckten Katalog benutzt werden können. Die zahlreichen Vorbesitzereintragungen lokaler Honoratioren, Bürger aus Werl oder Arnsberg und Ordensangehöriger aus Werl oder Wedinghausen dürften von hohem Interesse für die Kirchen-, Orts- und Regionalgeschichte sein. Durch die Verzeichnung der Vorbesitzer konnte der Werler Stadtarchivar Heinrich Josef Deisting ein geistiges "Profil" der Bibliothek erstellen und gleichzeitig manche Details der Kultur- und Bildungsgeschichte Werls in der Frühen Neuzeit erhellen.

Titelblatt Catechismus Romanus
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Die ältesten Sammlungen der Stadt Werl

In der Bibliotheca Wedinghausano-Werlensis, also der alten Bibliothek der Werler Praemonstratenserniederlassung, beherbergt die Propstei St.Walburga zu Werl den ältesten, 365 Bände umfassenden Buchbestand der Stadt. Es sind vorwiegend theologische Werke, daneben historische, geographische, juristische und philosophische Schriften aus der Zeit von 1478 bis 1795. Der größte Teil der Titel liegt in lateinischer, ein Viertel in deutscher, ein Zehntel in französischer Sprache vor. Darunter befinden sich 20 Inkunabeln und Drucke des frühen 16. Jahrhunderts. Einige der wertvollsten befanden sich seit 1931 als Leihgabe in der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek zu Paderborn – da nunmehr in Werl günstige Lagerbedingungen herrschen und eine sachgerechte Betreuung gewährleistet ist, konnten sie vor wenigen Monaten zurückkehren. Der Name Bibliotheca Wedinghausano-Werlensis geht auf die Tatsache zurück, daß die Pfarrei St. Walburga von 1196 bis 1828 der Prämonstratenser-Abtei Arnsberg-Wedinghausen inkorporiert war, ihr Pfarrer vom Abt des Konventes ernannt bzw. präsentiert wurde.

Schwerpunkt: Theologie

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Betrachtet man das theologische Schrifttum, so repräsentiert es in seiner Mehrheit die nachtridentinische, stark konfessionell ausgerichtete katholische Theologie. Ausweislich der Provenienzen und der in einem Teil der Bücher angebrachten Jahresangaben kamen die meisten Bücher im 17. und 18. Jahrhundert in den Besitz der Pfarrei, also in einer Zeit, in der die Reformen des Konzils von Trient (1545–63) auch auf der Pfarrebene zur vollen Entfaltung gelangten. In dieser Zeit erlebten auch das Stift Wedinghausen und die ihm inkorporierten Pfarreien infolge der von den Prämonstratenserklöstern Knechtsteden und Steinfeld ausgehenden Reform eine Blüteperiode. Die Bibliotheca Wedinghausano-Werlensis liefert somit ein wichtiges Zeugnis für das Aufgreifen und Weitertragen der in Trient beschlossenen Reformen und fördert die gewichtige Rolle zutage, welche die Orden bei der Prägung der nachtridentinischen Kirche und der Stabilisierung der katholischen Konfession spielten.
Eine Reihe gewichtiger Schriften gehört dem Bereich der Kontroverstheologie an; sie setzte sich mit den theologischen Problemen auseinander, die sich im 16. Jahrhundert zwischen den Katholiken und den Protestanten entwickelten.

Die führende Stellung, die der Jesuit Robert Bellarmin (1542–1621) in diesem Bereich einnahm, stellt sein Hauptwerk, die Disputationes de controversiis christianae fidei adversus huius temporis haereticos, unter Beweis. Mit seiner Lehre von der »potestas indirecta« der Kirche im weltlichen Bereich stieß Bellarmin auf heftigen Widerspruch. Der erste Band der Disputationes de controversiis stand kurze Zeit auf dem unveröffentlichten Index librorum prohibitorum Sixtus V. Ein interessantes Zeugnis der konfessionellen Auseinandersetzung in Westfalen ist die unter dem Titel Libellus controversiarum 1708 in Köln erschienene Schrift des Franziskaners Melchior Weber, mit der er den Prorektor des Dortmunder Gymnasiums und einen vehementen Anhänger der lutherischen Orthodoxie, Johann Caspar Barop, angriff. Einen ersten Rang nehmen im Bereich der praktischen Theologie Predigtsammlungen ein, in denen die dogmatischen Unterschiede zu den Protestanten herausgestrichen sind und viel konfessionelle Polemik enthalten ist. Hierher gehören die noch zu Lebzeiten des Autors erschienenen Predigten des Vizekanzlers der Universität zu Ingolstadt Johannes Eck (1486–1543), oder ein Druck der Evangelicae veritatis homiliarum centuriae quator, dem Hauptwerk von Friedrich Nausea (um 1490–1552), der als Humanist, Kontroverstheologe, Diplomat, Prediger und Bischof von Wien für seine Zeit Vorbildliches geleistet hat.

Daneben enthält die Bibliothek eine Reihe theologisch einflussreicher Predigtsammlungen vorwiegend jesuitischer, franziskanischer und dominikanischer Provenienz. Unter den katechetischen Werken finden sich eine Ausgabe des Catechismus Romanus und die Katechismen des berühmten Jesuiten und Kirchenlehrers Petrus Canisius. Stark vertreten ist der Bereich der Andachtsliteratur. Hieraus ragen die Vita Christi des Kartäusers und geistlichen Schriftstellers Ludolf von Sachsen (um 1300–1378), sowie die Imitatio Christi des Thomas von Kempen (ca. 1380–1471) in einer Münsteraner Ausgabe von 1621 hervor. Der Bereich der Liturgie ist durch Agenden, Breviere und Missale der Diözesen Köln, Münster und Paderborn sowie des Prämonstratenserordens vertreten. Quantitativ unterrepräsentiert sind kirchenrechtliche Werke; die meisten von ihnen vermitteln – gemäß der Forderung des Tridentinums – Wissen für die seelsorgliche Praxis. Als Beispiele für diese Entwicklung stehen das in Werl vorhandene Dilucidum ac perutile glossema des Spaniers und römischen Kurialen Geronimo Gonzales oder das Compendium iuris decretalium ex ipsis decretalibus collectum von dem Münsteraner Jesuiten, Moraltheologen und Kanonisten Clemens Becker (1724–1791).
Die Bibliotheca Wedinghausano-Werlensis liefert somit ein wichtiges Zeugnis für das Aufgreifen und Weitertragen der in Trient beschlossenen Reformen und fördert die gewichtige Rolle zutage, welche die Orden bei der Prägung der nachtridentinischen Kirche und der Stabilisierung der katholischen Konfession spielten.

Text: Reinhard Feldmann