Eine gewisse Ironie liegt darin, dass Hans Freyer sich dem vollen Zugriff der Maschinerie, mit der das Dritte Reich seine kulturelle Kontrolle ausübte, nur dadurch entzog, dass er zu einem Teil – und zu einem wirksamen Teil – dieser Maschinerie an der Peripherie wurde.
Zur Person
* 31. Juli 1887 in Leipzig
† 18. Januar 1969 in Ebersteinburg
Nach einem Studium der Nationalökonomie, Geschichte, Psychologie und Philosophie an den Universitäten Greifswald und Leipzig, wo er 1911 promovierte, übernahm Hans Freyer eine Lehrtätigkeit an der Reformschule der Freien Schulgemeinde Wickersdorf. Nach Weltkriegsteilnahme in den Jahren 1914 bis 1918 habilitierte er sich 1920 in Leipzig mit dem Thema Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts.
1922 erhielt Hans Freyer eine Professur an der Universität Kiel und ab 1925 den ersten Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Leipzig. 1933 übernahm er die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und nach Abschaffung des Leipziger Lehrstuhls für Soziologie eine Professur im umstrukturierten Institut für Kultur- und Universalgeschichte, eine Einrichtung für die politische Bildung von Studenten, die der NS-Ideologie verpflichtet war.
Hans Freyer war nie Mitglied der NSDAP, unterzeichnete aber 1933 das Bekenntnis der Professoren an deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler. 1934 war er Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie an der NS-Akademie für Deutsches Recht. In den Jahren 1935 bis 1944 leitete er das Deutsche Kulturinstitut in Budapest und erhielt 1938 eine Gastprofessur an der dortigen Universität. Von 1941 bis 1944 wurde Freyer auch zum Präsidenten des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Budapest ernannt. Während seiner Budapester Jahre fungierte er als eine Art deutscher Kulturdiplomat in Südosteuropa.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte Hans Freyer seine Lehr- und Forschungstätigkeiten in Leipzig wieder aufnehmen. Aufgrund seiner Haltung während des Dritten Reichs wurde jedoch zunehmend Kritik geäußert. 1948 wurde Freyer nach mehreren eigenen Entlassungsgesuchen aus allen Ämtern entlassen und zog nach Westdeutschland. In Wiesbaden übernahm er eine Stelle beim Brockhaus-Verlag. 1951 erfolgte auf Betreiben des Vorsitzenden Leopold von Wiese seine Wiederaufnahme in die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. In den Jahren 1953 bis 1963 arbeitete Hans Freyer als Professor Emeritus an der Universität Münster. 1954 unterstützte er den Aufbau eines Soziologischen Instituts an der Universität Ankara. 1955 veröffentlichte Freyer mit der Theorie des gegenwärtigen Zeitalters eines seiner bedeutendsten Werke. Als nicht unumstrittener Soziologe, Philosoph und Historiker beeinflusste er mit seinen Gesellschaftstheorien das Denken im Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre.
Zum Nachlass
Der 1978 von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster erworbene Nachlass Freyer enthält in 27 Kapseln folgende Dokumente: