„Wenn alle Menschen eine gemeinsame Sprache nutzten, würden sie einander verstehen und keine Kriege führen. Das hofft Ludwik Zamenhof, als er die Sprache Esperanto erfindet.
Der polnisch-jüdische Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof wird 1859 in Bialystok geboren, damals zum zaristischen Russland gehörend. Zamenhof wächst in einer vielsprachigen Umgebung auf. Die Familie spricht Russisch und Jiddisch. In der Stadt wird aber auch Polnisch, Ukrainisch, Litauisch und Deutsch gesprochen. Der Arzt legt in den 1880er-Jahren den Grundstein für die Plansprache, indem er ein erstes Lehrbuch veröffentlicht, eine minimalistische Struktur der Sprache, die er Internacia Lingvo nennt: Internationale Sprache.
„Eine Sprache zur Erleichterung der internationalen Kommunikation“
Die Sprache wird unter Zamenhofs Pseudonym bekannt: Esperanto. Zamenhof unterschreibt Schriften mit „Doktoro Esperanto“, wörtlich „Esper ant O“ – derjenige, der hofft. Der hofft auf eine bessere Welt. Esperanto entlehnt sein lexikalisches Material aus ethnischen Sprachen und passt es dann dem eigenen System an. Etwa 75 Prozent des Wortschatzes stammt aus romanischen Sprachen.
Esperanto gilt als die berühmteste von mehreren hundert sogenannten Plansprachen. „Die Bezeichnung Plansprache wurde von dem Österreicher Eugen Wüster, dem Begründer der Terminologiewissenschaft, 1931 in seiner Dissertation eingeführt. Nach ihm ist eine Plansprache eine von einer Einzelperson oder einer Gruppe von Menschen nach bestimmten Kriterien bewusst geschaffene Sprache zur Erleichterung der internationalen Kommunikation“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Sabine Fiedler.
Zamenhof erlebt zahlreiche interethnische Konflikte. Fiedler: „Und so reifte in ihm schon sehr früh der Gedanke, dass man die Feindschaft zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen durch eine gemeinsame Sprache beseitigen könne. Frieden zwischen den Völkern sei möglich, wenn sich die Menschen nur problemlos verständigen könnten.“
Freiwillig Lernende verbreiten die Sprache
Das Esperanto-Lehrbuch wird begeistert aufgenommen. Die freiwillig Lernenden stammen aus der Arbeiterschaft, dem liberalen Bürgertum, aus anarchistischen und pazifistischen Kreisen. Vereine werden gegründet, in Osteuropa, Deutschland, Frankreich, Japan, China. Dass die Sprache so gut ankommt – auch nach Zamenhofs Tod 1917 –, liegt sicher an der einfachen und logischen Struktur.
18. April 1922. Wenige Jahre nach dem großen Krieg wird bei einer Völkerbund-Konferenz in Genf darüber diskutiert, Esperanto als Schulfach einzuführen. Doch der große Wurf bleibt aus. Die junge Plansprache kommt gegen Französisch und Englisch nicht an. Doch trotz Verboten und Verfolgung etwa im nationalsozialistischen Deutschland und in der Sowjetunion der Stalin-Ära wird Esperanto bis heute — schriftlich und mündlich – weltweit verwendet.“
(WDR, Claudia Friedrich & Gesa Rünker)
Sie können die Sendung, die am 18.4.2022 in der Reihe „ZeitZeichen“ lief, über die Seite des WDR nachhören oder als Audiodatei herunterladen.