HEIKE BISKUP: Die »Buchsammlung Westerholt-Gysenberg« im Stadtarchiv
Bottrop
Vom 13. - 15. September 1951 wurden auf Schloss Arenfels bei Hönningen am
Rhein die Waffensammlung, die Bibliothek und einige Handschriften aus dem Besitz
des verstorbenen Grafen Fritz Westerholt versteigert. Bei der Schlossbibliothek
des Grafen Westerholt handelte es sich um eine über Generationen gewachsene
Sammlung, zu der auch Bücher der Vorbesitzer von Schloss Arenfels, der Grafen
von Isenburg und von der Leyen, zählten. Der Wunsch, den der deutsche Literaturhistoriker
Richard Alewyn im Auktionskatalog äußerte, »dass dieses einzigartige
Studienmaterial nicht in alle Winde zerstreut würde, sondern dass eine öffentliche
Sammlung sich seiner annähme« (1), erfüllte sich leider nicht.
Die Bücher gingen an verschiedene Einrichtungen (2).
Immerhin gelangte ein großer Teil der Bibliothek in das Stadtarchiv Bottrop.
Der damalige Bottroper Stadtarchivar Dr. Rudolf Schetter ersteigerte seinerzeit
den Bestand zum Preis von knapp 1300 DM. Mit finanzieller Hilfe der Alfried Krupp
von Bohlen und Halbach-Stiftung und der Stadt Bottrop wurden die Bände in
den letzten Jahren durch die Arbeitsstelle »Historische Bestände in
Westfalen« der Universitäts- und Landesbibliothek Münster formal
und sachlich erschlossen. Dort und in verschiedenen spezialisierten Fachwerkstätten
erfolgte zudem die Durchführung der notwendigen Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen.
Die Bücher sind nun nach dem Abschluss der bestandserhaltenden Arbeiten
und der Erschließung der Öffentlichkeit und Forschung als Präsenzbestand
im Stadtarchiv Bottrop zugänglich.
Die »Buchsammlung Westerholt-Gysenberg« im Stadtarchiv Bottrop ist
ein historisch äußerst wertvoller und sehr seltener Bestand, der 2.893
Titel in ca. 6.500 Bänden umfasst. Über 70 % sind in NRW sonst nicht
mehr vorhanden. Im Wesentlichen stammen die Publikationen aus dem 17. - 19. Jahrhundert.
Zu ihnen zählen juristische Bücher, aber auch Alltags- und Unterhaltungsliteratur,
Reisebeschreibungen und Romane.
Die Familie Westerholt gehört zum westfälischen Uradel (3). Ihre umfangreichen
Güter im Vest Recklinghausen werden bereits in mittelalterlichen Urkunden
des 13. Jahrhunderts erwähnt. Im 14. Jahrhundert wird Wessel von Westerholt
erstmals als Burggraf von Westerholt urkundlich genannt. Über Jahrhunderte
hatten die Herren von Westerholt das Vogteiamt über die neun Reichshöfe
des Vestes inne. Die Familie teilte sich in mehrere Zweige, die u. a. am Niederrhein
und in Holland ansässig sind.
Im Alter von 24 Jahren trat Ferdinand Otto von Westerholt im Jahre 1707 das Erbe
seines
verstorbenen Vaters Henrich Bernhard Burkhard, Reichsfreiherr von Westerholt,
Herr auf Westerholt, Alst und Haselünne, an. Clemens August von Bayern,
Bischof von Münster,
später auch Kölner Erzbischof und Kurfürst, ernannte ihn 1719
zu seinem Kämmerer. Fünf Jahre später folgte die Verleihung des
Titels Wirklicher kurfürstlicher Geheimer Rat und
1728 die Ernennung zum Ritter und Commendator der Großkreuzherren des hochadeligen
St. Michaelsorden. Als er 1714 Maria Agnes Freiin von Ketteler zu Sythen, Tochter
von Wilhelm Burchard Freiherr von Ketteler zu Sythen und Maria Elisabeth Franzeline
Freiin von und zu Gysenberg, heiratete, enthielt der Ehevertrag die Bestimmung,
dass »bei weiblicher Erbfolge die Annahme des Westerholter Namens und Wappens
zu erfolgen habe und man dies beim Kaiser approbieren lassen müsse« (4).
In einem Fideikommiss regelte Ferdinand Otto, Reichsfreiherr von Westerholt,
1726 die Vereinigung des Besitzes der Familie sowie der Erbschaft des letzten
Herrn von Gysenberg, des Hildesheimer Domherrn Adolph Arnold Robert Freiherr
von Gysenberg, zu einem Majorat. Freiherr von Gysenberg, ein Onkel seiner Frau,
bestimmte in seinem Testament, dass die Erben künftig den Namen Westerholt-Gysenberg
führen sollten. Erbe des Fideikommisses wurde der 1720 geborene Joseph Clemens
August Maria von Westerholt, der nach dem Tod seines Vaters Ferdinand Otto 1741
dessen Nachfolge antrat. 1744 billigte Kaiser Karl VII die Vereinigung des Westerholter
mit dem Gysenbergischen Wappen und erteilte die Erlaubnis, von da ab den Namen
eines Freiherrn von Westerholt und Gysenberg zu führen.
Mit dem Tod von Joseph Clemens Freiherr von Westerholt und Gysenberg im Jahre
1762 erlosch die männliche Linie der Familie von Westerholt, da aus seiner
Ehe mit Wilhelmine Franziska von der Reck zur Horst als einziges Kind die 1757
geborene Tochter Wilhelmine Friderike Franziska Maria Anna hervorgegangen war. Über
die weibliche Linie von Erbtochter Wilhelmine wurde das Geschlecht weiter geführt.
Ihr Ehemann musste, den Bestimmungen des Fideikommisses entsprechend, Namen und
Wappen derer von Westerholt annehmen. Im Alter von 12 Jahren heiratete sie Ludolph
Friedrich Adolph Freiherr von Boenen zu Berge, dessen Familie ebenfalls zum westfälischen
Uradel zählt. Er war bei seiner Heirat, gemäß den Bestimmungen,
zum katholischen Glauben übergetreten. 1779 bestätigte das Dekret von
Kaiser Josef II. die Namensänderung in Ludolph Friedrich Reichsfreiherr
von Westerholt-Gysenberg. Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Bayern, nach dem
Tod von Kaiser Josef II. Reichsvikar für die Führung der kaiserlichen
Geschäfte, erhob ihn 1790 in den Reichsgrafenstand.
Hauptwohnsitz der Familie wurde Haus Berge bei Buer, seit 1521 im Besitz der
Familie von Boenen. Wilhelmine von Westerholt-Gysenberg war an Literatur sehr
interessiert. »Sie hat die Bibliothek von Berge bereichert mit den Werken
fast aller damals bekannter Dichter und Schriftsteller, die wir heute die deutschen
Klassiker zu nennen gewohnt sind« (5), wie Fritz Graf Westerholt in seiner
Familiengeschichte vermerkt.
Wilhelmine und Ludolph Friedrich von Westerholt-Gysenberg hatten zwei Söhne
und zwei Töchter. 1772 wurde der Erbfolger Maximilian Friedrich geboren,
der 1806 - 1808 als Oberstallmeister in Diensten von Joachim Murat, Napoleons
Schwager und dessen Statthalter im Großherzogtums Berg, stand. Wilhelm
Ludwig Joseph von Westerholt-Gysenberg, 1784 geboren, war u. a. 1816 - 1829 Landrätlicher
Kommissar des Kreises Recklinghausen.
Friedrich Ludolf Graf von Westerholt-Gysenberg, zweiter Sohn von Max Friedrich,
hatte nach seiner Heirat mit der Tochter des Amsterdamer Bürgermeisters
Peter Paul Charlé, Johanna Charlé, im Jahre 1839 mit ihr zunächst
in Haus Clooster bei Haarlem gewohnt. Durch Vermittlung seines älteren Bruders
Karl erwarb er 1848/49 Schloss Arenfels bei Hönningen am Rhein von Fürst
Erwein von der Leyen. Das Schloss war ursprünglich um 1250 durch Graf Erlach
von Isenburg als gotische Wehrburg errichtet worden. Im 16./17. Jahrhundert erfolgte
der Umbau zu einem Renaissance-Schloss. Die Familie von der Leyen war seit 1670
dort ansässig gewesen. Der Trierer Kurfürst Karl Kaspar von der Leyen
hatte seinem Neffen, Freiherr Karl Kaspar von der Leyen zu Adendorf, die Herrschaft
Arenfels mit allen Besitztümern und Rechten als Lehen übertragen. Die
adelige Familie von der Leyen (6), deren Stammsitz Gondorf an der Mosel war,
gehörte zu den bedeutenden Familien des rheinischen Adels und erlangte Macht
und großen Reichtum. In der Zeit der Französischen Revolution verlor
sie jedoch fast ihr gesamtes Vermögen. Fürst Philipp von der Leyen,
der Vater von Erwein, verlebte seine letzten Jahre verarmt auf Schloss Arenfels.
In den Jahren 1852 - 1858 ließ Friedrich Ludolf Graf von Westerholt Schloss
Arenfels durch den bekannten Architekten und Kölner Dombaumeister Ernst
Friedrich Zwirner grundlegend renovieren und im neugotischen Stil umgestalten.
Er nahm seinen ständigen Wohnsitz auf Arenfels und begründete die Linie
Westerholt-Arenfels.
(1) Richard Alewyn: Zur Arenfelser Schloßbibliothek, in: August Nethe:
Bibliothek und Waffensammlung Schloss Arenfels. Versteigerung vom 13. - 15. September
1951, Köln 1951, S. VIII (Nethe & Venator. Kölner Buch- und Graphikauktionen,
Versteigerungen VIII/ IX).
(2) So auch an die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Siehe hierzu:
Alice Rabeler: Die Sammlung Westerholt. Geschichte und Analyse ihres Bestandes,
Köln 1995.
(3) Zur Geschichte der Familie Westerholt vgl. u. a. Fritz Graf Westerholt-Arenfels:
Max Friedrich Graf Westerholt. Seine Familie und seine Zeit, Köln 1939;
Adolf Dorider: Zur Genealogie des vestischen Adelsgeschlechtes von Westerholt.
In: Vestische Zeitschrift, Bd. 54, Recklinghausen 1952, S. 85 ff.; Herjo Frin:
Von Westerholt, ein Adelsgeschlecht der Vestischen Ritterschaft. Genealogische
Aufstellung der ersten zwanzig Generationen. In: Vestische Zeitschrift, Bd. 82
/ 83, Recklinghausen 1983 / 1984, S. 243 ff.; Wolfgang Viehweger: Die Grafen
von Westerholt-Gysenberg, Recklinghausen 2002.
(4) Herjo Frin, a. a. O., S. 284.
(5) a. a. O, S. 52.
(6) Zur Geschichte der Familie von der Leyen vgl. Wolfgang Krämer: Beiträge
zur Geschichte des mediatisierten Hauses von der Leyen und zu Geroldseck, Gauting
bei München 1964; Arthur Kleinschmid: Geschichte von Arenberg, Salm und
Leyen 1789 - 1815, Gotha 1912, S. 279 ff.