Handschriften der ULB Münster – Geschichte der Sammlung
Dass die Sammlung mittelalterlichen Handschriften nicht so bedeutungslos ist, wie die Zahl 100 vielleicht vermuten lässt, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft dadurch anerkannt, dass sie sie im Jahre 1990 in ihr Programm zur Katalogisierung mittelalterlicher Handschriften aufgenommen hat.
Auch wenn fast der gesamte Handschriftenbestand aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert im 2. Weltkrieg verbrannt ist, hier ein kurzer Blick auf die Geschichte der Sammlung.
Der Aufbau eines Handschriftenbestandes in der ULB erfolgte bereits während der Säkularisation:
Durch den Deputationshauptschluss von 1803 waren zunächst die Fürstbistümer Münster und Paderborn preußisch geworden – noch nicht das ganze Gebiet Westfalens. Der an Handschriften viel reichere westfälische Teil des kurkölnischen Sauerlandes wurde der Grafschaft Hessen-Darmstadt zugewiesen. Landgraf Ludwig X. ließ aus den aufgehobenen Klöstern seines neuen Territoriums die schönsten und kostbarsten Handschriften und Drucke in seine Hofbibliothek nach Darmstadt bringen, wo sie sich auch heute noch befinden. Was nicht nach Darmstadt gelangte, ließ der Landgraf nach Arnsberg schaffen, wo er Handschriften und Drucke in einer neuen, von ihm errichteten Provinzialbibliothek zusammentragen ließ, die 1874 dann nach Münster in die damalige Bibliotheca Paulina (heute ULB) überführt wurde.
Nach Münster gelangten nach 1803 Teile der Buch- und Handschriftenbestände, vor allem aus den Benediktinerabteien Liesborn und Werden und dem Zisterzienserkloster Marienfeld, später auch aus der Münsterschen Dombibliothek. Die Größenordnung dieser Erwerbungen lässt sich heute nicht mehr feststellen. Bei dem Hin und Her der politischen Unterstellung der ehemaligen Fürstbistümer nach 1803 zwischen dem preußischem Staat, Frankreich und dem von ihm abhängigen Großherzogtum Berg erfolgte die Ablieferung der Klosterbestände nur sehr zögerlich, ohne System und keineswegs vollständig. Es ist jedoch bekannt, dass aus diesem Säkularisationsgut im Jahre 1823 im Auftrag der Regierung 63 Codices zur Verbesserung des Bibliotheksetats versteigert wurden. Aufgrund einer Ministerialverfügung wurden 78 Handschriften für 1.200 Reichstaler an die Preußische Staatsbibliothek in Berlin verkauft.
Eine wichtige Erweiterung der Handschriftensammlung erfolgte 1874, als die Erste Abteilung der Regierungsbibliothek Arnsberg nach Münster überführt wurde. Es handelt sich bei ihr um jene Bibliothek, die Ludwig X. von Hessen-Darmstadt im Zuge der Säkularisation als Provinzialbibliothek errichten ließ und die 1816 unter preussische Verwaltung kam. 172 mittelalterliche Handschriften gelangten damit in die Bibliothek, keine Prachtcodices mit Illustrationen sondern reine Texthandschriften, die meisten aus dem Dominikanerkloster in Soest.
Mit der Bibliothek Fürstenberg-Stammheim, die der Bibliothek seit 1907 zunächst als Leihgabe zur Verfügung stand und seit 1988 ihr Eigentum ist, erhielt die Bibliothek auch einige Handschriften, darunter ein mit einigen hochwertigen Initialen ausgestatteter Psalmenkommentar des Petrus Lombardus (Hs 892), der im 13. Jahrhundert vermutlich in Mittelitalien hergestellt wurde, und die Leben der heiligen Hugo und Bruno (Hs 894) von 1522–23 aus dem Kartäuserkloster St. Barbara in Köln.
Wie viele Handschriften nach dem Erscheinen des Kataloges von Staender bis 1945 noch erworben worden sind, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Nicht nur die Handschriften, sondern auch die Erwerbungsunterlagen sind spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg verloren. Die Bombenkatastrophe vom Palmsonntag (25. März) 1945 haben (nach Bänden gezählt) nur 53 mittelalterliche von vielleicht 480 überstanden. Vermutlich hat die Bibliothek zu diesem Zeitpunkt insgesamt an die 1.500 mittelalterliche Codices und neuzeitliche Manuskripte besessen.
Literatur:
Haller, Bertram: Die Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek – Bemerkungen zu Josef Staenders Handschriftenkatalog der "Bibliotheca Paulina" aus dem Jahre 1889
In: Westfälische Forschungen. - 36. 1986, S. 133–135
Die Kriegsverluste sind im alten Katalog von Josef Staender (Arbeitsexemplar des Bibliothekars Heinz Jansen) dokumentiert. Die geretteten Handschriften wurden mit einer Notiz am Rand gekennzeichnet.
Staender, Josef: Chirographorum in Regia Bibliotheca Paulina Monasteriensis Catalogus. Breslau 1889
Standort: HLS ALL 0.4 MUS 25
Digitalisat
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte seit der Mitte der fünfziger Jahre eine zielstrebige Erwerbung von Handschriften ein. Ganz bewusst richtete man sein Interesse auf Zeugnisse der Geschichte und der Buchkultur des westfälisch-niederdeutschen Raumes, für den die Bibliothek die Funktion einer Landesbibliothek ausübt, und auf den niederländischen Kulturkreis, der seit 1951 als Sondersammelgebiet/Fachinformationsdienst mit den Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Münster betreut wird. Die neu erworbenen Stücke sind Handschriften mit geistlicher Literatur in der Volkssprache, theologische Werke in lateinischer Sprache, liturgische Handschriften (meist aus dem Bistum Münster oder aus naheliegenden Klöstern), Gebet- und Stundenbücher, Predigten, Heiligenviten und nur wenige Codices anderen Inhalts.
In Westfalen sind nur wenige literarische Handschriften entstanden. Es werden einige Fragmente von Texten in niederdeutscher Sprache des späten Mittelalters in unserer Bibliothek aufbewahrt, z. B. des ritterlichen Lehrgedichts "Der Winsbeke" aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts oder eine niederdeutsche Beichte, ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert.
Die mittelalterlichen Handschriften sind in einem gedruckten Katalog (Stand 1995) beschrieben:
Overgaauw, Eef: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Wiesbaden, 1996.
Standort: Handschriften-Lesesaal H ALL 0.4 MUS 10 oder
Die im Jahr 1996 begonnene Signaturenbezeichnung Cod für die mittelalterlichen Handschriften wurde 2018 auf die in der Publikation von Overgaauw beschriebenen Titel mit den Signaturen Hs und Ms N.R. übertragen und in einer