Musik vor 300 Jahren ist international: Berlin – London – Amsterdam – Westfalen

Johann Christoph Pepusch: Sonates à un violon seul & une basse continue ... second ouvrage, livre 1(2), seconde édition, revue & corrigée par l‘auteur. – Amsterdam, Estienne Roger [1707]. – PN 72/73. Fürstlich zu Bentheim-Tecklenburgische Musikbibliothek Rheda (Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Depositum).

Johann Christoph Pepusch (1667–1752) gilt neben Georg Friedrich Händel als einer der bedeutendsten deutschen Musiker, der das Kulturleben Londons in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mitprägte. Nicht nur als Instrumentalist, Komponist und Theaterdirektor, sondern auch als Musikwissenschaftler und Lehrer machte sich Pepusch weit über seinen Wirkungsort hinaus einen Namen.

In Berlin als Sohn eines protestantischen Geistlichen geboren, erhielt Pepusch seine musikalische Ausbildung durch den (nicht sicher zu identifizierenden) Kantor an der Berliner Marienkirche. Bereits mit 14 Jahren wurde Pepusch als Musiker am Preußischen Hof angestellt, in dessen Diensten er bis zu seinem 30. Lebensjahr verblieb. Aus nicht vollständig geklärten Gründen quittierte Pepusch 1697 seinen Dienst in Berlin, um über Amsterdam nach London umzusiedeln, wo er zunächst als Violinist und Cembalist an verschiedenen Theatern sowie in den Folgejahren auch als Organisator eigener Konzerte wirkte. In diesen Jahren bis etwa 1710 entstanden viele kammermusikalisch besetzte Instrumentalkompositionen, die zum großen Teil in Amsterdam erschienen, unter ihnen 1707 im bedeutenden Verlagshaus Estienne Roger die Ausgabe der 16 Violinsonaten op. 2.

Im Jahr 1713 wurde Pepusch von der Universität Oxford die Doktorwürde der Musik verliehen, 1714 erhielt er eine Anstellung als Musikdirektor am Londoner Drury Lane Theatre, von wo er schließlich 1716 an das ebenfalls in London beheimatete Lincoln’s Inn Fields Theatre wechselte. Mit einigen kürzeren Pausen, die er in Diensten des späteren Duke of Chandos auf dessen Landsitz Cannons verbrachte, versah Pepusch dieses Amt bis 1732. Sowohl für das Musikensemble in Cannons als auch für das Theaterensemble am Lincoln’s Inn Fields Theatre komponierte Pepusch Lieder, Kantaten, Anthems und Bühnenmusiken, darunter 1728 die Ouvertüre und Liedarrangements zur Beggar’s Opera von John Gay. Nach 1732 zog sich Pepusch aus dem Theaterbetrieb zurück, um sich ausschließlich der Tätigkeit als Lehrer und Musikwissenschaftler zu widmen: Bis kurz vor seinem Tod blieb Pepusch musikalischer Leiter der Academy of Ancient Music, deren Mitbegründer er 1726 gewesen war und deren Ziel die Erforschung, Sammlung und Aufführung von Musik früherer Zeiten war.

Die hier wiedergegebene Estienne-Roger-Druck der Violinsonaten op. 2 ist in der Fürstlich zu Bentheim-Tecklenburgischen Musikbibliothek Rheda überliefert, einer äußerst wertvollen Sammlung von ca. 2.000 Musikhandschriften und -drucken, die als Dauerleihgabe in der ULB Münster aufbewahrt wird. Die Violinsonaten Pepuschs wurden mutmaßlich vom Reichsgrafen Moritz Casimir I. während seines Jurastudiums in Utrecht 1718 erworben. Vielfältige Gebrauchsspuren zeugen von der Beliebtheit der Sonatensammlung am Hof Moritz Casimirs in Hohenlimburg und Rheda. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als trotz einer abwechslungsreichen und mit hohem musikalischem Ausdruck versehenen Kompositionsweise das technische Niveau der Sonaten für den Dilettanten, d.h. insbesondere für den musikalisch versierten Adel, der im Gegensatz zu den professionellen Musikern seinen Lebensunterhalt nicht durch Musizieren verdienen musste, angemessen anspruchsvoll ist. Dennoch wirken die raschen Sätze bei entsprechender Tempowahl sehr virtuos, während die langsamen Sätze aufgrund ihrer melodisch meist einfachen Faktur dem Violinisten in den Wiederholungen ausreichend Gelegenheit bieten, durch Diminutionen und Improvisation seine eigene Musikalität und Erfindungsgabe zu demonstrieren.

Notenblatt von Pepusch
© ULB

Besondere Aufmerksamkeit verdient Pepuschs Sonatensammlung op. 2 aber auch noch aus einem weiteren Grund: In den einzelnen Sätzen der 16 Sonaten werden fast alle, nämlich 22 der 24 Tonarten des Quintenzirkels verwendet (lediglich Fis-Dur und Cis-Dur fehlen). Dies ist insofern bemerkenswert, als erst mit dem etwa 20 Jahre zuvor von Andreas Werckmeister veröffentlichten Buch Musicalische Temperatur, oder Deutlicher und warer mathematischer Unterricht, wie man durch Anweisung des Monochordi ein Clavier, sonderlich die Orgel-Wercke, Positive, Regale, Spinetten und dergleichen wol temperirt stimmen könne die theoretische Grundlage für eine (ungleichschwebend) temperierte Stimmung von Tasteninstrumenten gelegt war, die ein Spielen in allen Tonarten des Quintenzirkels ermöglichte. Pepuschs Opus 2 dürfte damit – lange vor Bachs Wohltemperiertem Clavier (Teil 1: 1722) – zu einer der ersten gedruckten Kompositionssammlungen überhaupt gehören, die von dieser Neuerung Gebrauch machte.

Pepuschs Sonatensammlung ist schließlich ein Musterbeispiel für die höchste Qualität, mit der die Musikalien im Verlagshaus Estienne Roger hergestellt wurden. Ein sehr gut lesbares Druckbild gepaart mit einer extrem niedrigen Fehlerquote sind die Markenzeichen aller Roger-Drucke dieser Zeit; nicht zuletzt deswegen publizierten die bedeutendsten Komponisten des beginnenden 18. Jahrhunderts (u.a. Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi) in Amsterdam bei Roger. Pepuschs Sonaten sind also auch in dieser gut 300 Jahre alten Ausgabe für heutige Musiker problemlos zu lesen und zu spielen, wie dies in der Konzertreihe Papier.Klänge der ULB Münster bereits zu erleben war und anhand einer kürzlich erschienenen Faksimile-Ausgabe nun auch von jedem interessierten Violinisten nachvollzogen werden kann.

Literaturhinweise

ROSENBERGER, Burkard: Die Musiksammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Münster
In: Forum Musikbibliothek 22 (2001), S. 231–241
sowie online verfügbar

Art. Andreas Werckmeister
In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2., neubearb. Ausg.
sowie in: Grove Music Online. – Die verlorene erste Auflage des Werks Musicalische Temperatur… erschien um 1686/87; erhalten ist heute lediglich die zweite Auflage von 1691.

Art.: Johann Christoph Pepusch
In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2., neubearb. Ausg.
sowie in: Grove Music Online. In der MGG wird Pepuschs Geburtsjahr mit 1666 oder 1667 angegeben.