„Für einige ist Sayyid Qutb ein Märtyrer, der zu Unrecht beschuldigt worden sei, den Jihad in der Form des „Heiligen Krieges“ zu propagieren. Für andere hingegen ist er der Vater des terroristischen Islamismus.
Fest steht, dass Sayyid Qutb viele Gesichter hat. Und seine ideologischen Überzeugungen in seinen zahlreichen Schriften immer wieder über den Haufen wirft.
Geboren wird Sayyid Qutb 1906 als zweites von fünf Kindern in einem Dorf in Oberägypten. Sein Vater ist Abgeordneter der Wafd-Partei, die für die Unabhängigkeit Ägyptens von der britischen Kolonialmacht kämpft.
Sayyid Qutb wächst privilegiert auf, darf in die Grundschule, verehrt seine Lehrer wegen ihres Wissens fast abgöttisch, wie er in seiner Autobiografie selber schreibt. Zudem ist er bei aller Kritik an den als schmuddelig beschrieben Koranschulen stolz darauf, den Koran selbstständig auswendig zu lernen. Mit zehn Jahren kann er den „lügenhaften Zungen der Befürworter der Koranschule“ Paroli bieten.
Die Briten und die Menschlichkeit
1921 zieht Sayyid Qutb zu seinem Onkel nach Kairo, verkehrt in literarischen Zirkeln, schreibt Gedichte und Literaturkritiken. Hier reift seine Überzeugung, dass die Eliten des Landes vor allem aus reichen Kapitalisten bestünden, die kein Interesse daran hätte, die arme Mehrheit am politischen Gestaltungsprozess zu beteiligen. Aber eigentlich, ist Sayyid Qutb überzeugt, „berauben die Briten unser Land und seine Menschlichkeit“.
Da ist Sayyid Qutb noch überhaupt nicht islamisch geprägt, im Gegenteil: Für die bodenständig-fromme, wenig intellektuelle Muslimbruderschaft zeigt er keinerlei Sympathie.
Zunehmende Radikalisierung
Die Wende erfolgt in den 1940er Jahren. Sayyid Qutbs Buch „Soziale Gerechtigkeit und Islam“ macht das 1948 offensichtlich. Es ist geprägt vom Hass auf den dekadenten, sexualisierten, dem materiellen Fortschritt verfallenen Westen und seine antireligiösen Strömungen. Ein Besuch in den USA verstärkt die Kluft noch. Als dann in Ägypten auch noch der Begründer der Muslimbruderschaft ermordet wird, gibt er seine Distanz zur Bewegung auf.
1954 kommt es zum Attentat auf den späteren Präsidenten Gamal Abdel Nasser, das der Muslimbruderschaft angelastet wird. Massenverhaftungen sind die Folge, in deren Rahmen auch Sayyid Qutb zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wird.
Wichtiges Werk der jihadistischen Bewegung
Die brutalen Haftbedingungen radikalisieren ihn weiter. Sayyid Qutb propagiert eine goldene Frühzeit des Islam; alle säkularen Gesellschaften gelte es zu vernichten. Die 1964 publizierte Koran-Interpretation „Wegzeichen“ wird zu einem der wichtigsten Werke der jihadistischen Bewegung.
Nach einer erneuten Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wird Sayyid Qutb am 29. August 1966 in Kairo gehängt. Er hinterlässt hunderte von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften sowie zahlreiche Gedichte und einen tragischen Liebensroman.“ (WDR, Marfa Heimbach, Ronald Feisel)
Sie können die Sendung, die am 29.8.2021 in der Reihe „ZeitZeichen“ lief, über die Seite des WDR nachhören oder als Audiodatei herunterladen.