„Mit einem Widmungsgedicht dankt Johann Wolfgang von Goethe dem Mann, der ihn zum „West-östlichen Divan“ inspirierte. Historiker sehen in Heinrich Friedrich von Diez den „orientalischen Berater“ Goethes. Rund 17.000 kostbare Werke und Münzen der östlichen Kulturwelt hat Diez gesammelt; er gilt als einer der herausragenden Orientalisten seiner Zeit.
Schon in jungen Jahren ist der Sohn eines Textilhändlers eine höchst stattliche Erscheinung. Sehr groß von Statur und mit nicht minder großem Selbstbewusstsein habe er sich zu Außergewöhnlichem berufen gefühlt, weiß Diez-Experte Christoph Rauch, Leiter der Orientabteilung der Berliner Staatsbibliothek.
Bald nach Heinrich Friedrichs Geburt am 2. September 1751 in Bernburg an der Saale siedelt die Familie nach Magdeburg um, in die Heimatstadt der Mutter. Als Schüler entdeckt Diez dort sein großes Interesse für die Geschichte und Sprachen des geheimnisvollen Orients. Auf Geheiß des Vaters studiert er jedoch Jura in Halle.
Vom vernunftorientierten Denken der Aufklärung geprägt, schließt sich der freidenkerische Diez einer Loge an und veröffentlicht religionskritische Schriften. „Er hat sich sehr mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt und ist auch ganz unbefangen an die Kultur des Orients herangegangen“, so Christoph Rauch.
Preußens Mann am Bosporus
Nach seinem Studium tritt Heinrich Friedrich Dietz in Magdeburg als Referendar in den Justizdienst ein. Schnell steigt er zum Kanzleidirektor auf und hat das triste Beamtendasein bald satt. 1784 erfährt Diez von einer ausgeschriebenen Stelle als preußischer Geschäftsträger in Konstantinopel. Ohne jede diplomatische Erfahrung und türkische Sprachkenntnisse bewirbt sich der Überflieger bei Friedrich dem Großen persönlich – und erhält den Posten!
In den folgenden sechs Jahren residiert Diez als Konsul im Brandenburgischen Palais in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Er stürzt sich in die Arbeit, nutzt jede freie Minute, um sich intensiv mit der osmanischen Kultur vertraut zu machen und die türkische Sprache zu lernen, wie Diez-Kenner Rauch berichtet: „Jeden Abend bis tief in die Nacht hat er mit seinem türkischen Lehrer gelernt und sich mit ihm ausgetauscht.“
Auch als Diplomat ist Diez überraschend erfolgreich. Nach zwei Jahren bereits wird er 1786 von Friedrich Wilhelm II., dem Nachfolger des verstorbenen „Alten Fritz“, in den Adelsstand erhoben.
Übersetzung des „Buch des Kabus“
Allzu eigenmächtige Verhandlungen über die Interessen Preußens setzen der Diplomaten-Karriere aber 1790 ein abruptes Ende. Heinrich Friedrich von Diez wird aus Konstantinopel abberufen und mit der Ernennung zum Prälaten des Domstiftes zu Kolberg abgefunden.
Tief gekränkt, aber mit einer üppigen Pension versorgt, beschließt er mit 40 Jahren, ein Leben als Privatgelehrter zu führen. 1806 muss Diez vor Napoleons Truppen aus Kolberg fliehen und lässt sich mit seiner riesigen Sammlung orientalischer Handschriften, Bücher und Bildnissen in Stralau bei Berlin nieder.
In seiner Villa an der Spree erarbeitet Diez die erste Übersetzung des „Buch des Kabus“, eines der bedeutendsten Werke der persischen Kultur aus dem 11. Jahrhundert. Die Veröffentlichung erregt enormes Aufsehen in der Gelehrtenwelt; auch Johann Wolfgang von Goethe ist begeistert und notiert: „Dieses Buch schien mir so bedeutend, dass ich ihm viel Zeit widmete.“ Nachdrücklich fordert der Dichterfürst Verleger und Zeitungen auf, dieses „vortreffliche, ja unschätzbare Buch“ bekanntzumachen.
Goethes Orient-Experte
In reger Korrespondenz mit dem hoch geschätzten Orientalisten wird das „Buch des Kabus“ zu Goethes unerschöpflicher Inspirationsquelle für sein umfangreichstes Werk, den „West-östlichen Divan“. Als seltenes Zeichen der Anerkennung widmet er Heinrich Friedrich von Diez sogar ein persönliches Gedicht. 1814 wird der Privatgelehrte als Ehrenmitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.
Bis wenige Wochen vor seinem Tod im April 1817 beantwortet der fast erblindete Diez mit krakeliger Schrift die letzten Fragen Goethes. Sein beachtliches Vermögen hinterlässt der im Alter vom Freidenker zum tiefgläubigen Christen gewandelte Gelehrte der Kirche. Seine immense Bibliothek von mehr als 17.000 Büchern, Handschriften und Malereien stiftet Heinrich Friedrich von Diez der Preußischen Staatsbibliothek.“
(WDR, Melahat Simsek, Ronald Feisel)
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