„Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte proklamiert die Ukraine ihre Unabhängigkeit. 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, hatte Lenin alle Hoffnungen auf Souveränität beendet und das Land in die Union der Sowjetrepubliken gezwungen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 geht die Ukraine auf Westkurs, den Russlands Präsident Putin mit der Annexion der Krim torpediert.
Im Urlaub auf der Krim an der ukrainischen Schwarzmeerküste wird Michail Gorbatschow von der Geschichte überrollt.
Von Putschisten unter Hausarrest gestellt, muss der sowjetische Staatschef ohnmächtig zusehen, wie altkommunistische Kader die Macht in der UdSSR an sich reißen wollen. Und wie Russland designierter Präsident Boris Jelzin, unterstützt von Millionen demonstrierenden Menschen, den Putschversuch nach drei Tagen am 21. August 1991 zu Fall bringt.
Es ist Gorbatschows politischer Tod und das Ende der Sowjetunion. Über die Zukunft des zerfallenden Weltreichs bestimmt nun Boris Jelzin. Russland wird ein eigener Staat; Estland, Lettland und Litauen folgen umgehend und werden sofort international anerkannt. Am 24. August 1991 erklärt auch das Parlament in Kiew die Ukraine zu einem unabhängigen und demokratischen Staat.
Ukraine – das Armenhaus der UdSSR
In einem Referendum stimmen 90 Prozent der Ukrainer dem Beschluss zu; viele feiern die Unabhängigkeit euphorisch: „Wir haben davon geträumt, ein modernes, ein europäisches Land aufzubauen“, sagt Vitali Klitschko, damals noch Boxer und später Bürgermeister von Kiew. Andere wie der Geschichtswissenschaftler Dmytro Myeshkov bleiben skeptisch: „Als Historiker wussten wir sehr gut, wie kurzlebig Perioden der Liberalisierung sein können.“
Der erste Schritt der Ukraine in die Unabhängigkeit endet 1919 schnell: Lenin durchkreuzt alle Hoffnungen auf Souveränität und macht das Land zur Teilrepublik der Sowjetunion. Unter Stalin wird es zur Kornkammer der Kommunisten. Während die UdSSR Millionen Tonnen Getreide exportiert, herrscht in der Ukraine bitterstes Elend. Historiker gehen davon aus, dass in der Stalin-Ära bis sieben Millionen Ukrainer verhungern.
Das Volk gegen die Macht der Oligarchen
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich die Ukraine zu einem Zentrum sowjetischer Schwer- und Rüstungsindustrie — bis das Land 1986 von der Reaktor-Explosion in Tschernobyl erschüttert wird. Wie viele seiner Landsleute erlebt auch Dmytro Myeshkov die Katastrophe als Zäsur: „Sie hat so deutlich wie wohl kein anderes Ereignis gezeigt, wie anfällig und fast schon lebensunfähig sich das sowjetische System entpuppt hat.“
Armut bleibt auch nach der Unabhängigkeit 1991 das drängendste Problem der Ukraine. Während die meisten Menschen nur das Nötigste zum Leben haben, beutet eine kleine Oberschicht den Staat aus. Oligarchen bestimmen über die Rohstoffe und Industriekomplexe, über die Medien und sogar über die Justiz.
2004 kommt es zur „Orangenen Revolution“: Hunderttausende protestieren auf dem Maidan, Kiews zentralem Platz, gegen eine manipulierte Wahl der „Oligarchen-Marionette“ Viktor Janukowitsch zum Präsidenten. Die vom höchsten Gericht der Ukraine angeordnete Neuwahl gewinnt Viktor Juschtschenko, der während des Wahlkampfs mit Dioxin vergiftet worden war.
Putin würgt die Westintegration ab
Allerdings enttäuscht auch der Volksheld Juschtschenko die in ihn gesetzten Hoffnungen; die Wahl 2009 gewinnt sein Widersacher Janukowitsch. Ein Abkommen mit der EU, das vor allem die junge, westeuropäisch orientierte Jugend unterstützt, scheitert an immer unverhüllteren Drohungen aus Moskau. „Die Ukraine ist Teil unserer großen russischen und russisch-ukrainischen Welt“, macht Russlands Präsident Putin unmissverständlich klar.
Von November 2013 an gehen in Kiew wieder hunderttausende Menschen auf die Straße, um gegen den erzwungenen prorussischen Kurs zu demonstrieren; der „Euromaidan“ entsteht. Im Februar 2014 eskaliert die Lage. Die Regierung lässt auf die Menge schießen, es gibt Tote, aber der Widerstand bleibt ungebrochen. Als Russland im März die Krim annektiert, kommt es in der Ostukraine zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die bis in die Gegenwart anhalten.“
(WDR, Irene Dänzer-Vanotti, Ronald Feisel)
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