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Aus unseren Neuerwerbungen – Germanistik 2022.7

Armer Hein­rich, reich­er Hein­rich — Deutsch­er Hein­rich: Die lit­er­arische Kar­riere eines Namens im neun­zehn­ten Jahrhun­dert
BuchcoverDer Eigen­name ist als sprach­lich­es Phänomen Gegen­stand vielfältiger wis­senschaftlich­er Betra­ch­tung. In der Lit­er­atur erfüllt er seine Funk­tion unter anderem durch sein assozia­tives Poten­zial, das im Einzel­w­erk her­auszuar­beit­en eine lit­er­atur­wis­senschaftliche Grund­diszi­plin darstellt. Nun wird die deutsche Lit­er­atur des neun­zehn­ten Jahrhun­derts von einem einzel­nen Namen in auf­fäl­liger Weise dominiert, nicht nur ob sein­er Häu­figkeit, son­dern vor allem durch die promi­nente Platzierung in den großen und größten Werken dieser Zeit. Hein­rich von Ofter­din­gen ste­ht neben Hein­rich Faust, der grüne Hein­rich neben der Königlichen Hoheit Klaus Hein­rich. Dabei ist der Eigen­name per def­i­n­i­tionem zu kein­er Zeit ein unbeschriebenes Blatt. Rebec­ca Richter zeigt, dass der deutsche Herrsch­er­name schlechthin durch das neun­zehnte Jahrhun­dert zum deutschen Dichtermythos erweit­ert wird, dem Kün­stler-Ich, das in ein­er sich mod­ernisieren­den und ökonomisieren­den Welt entwed­er flüs­sig wird, oder sich ver­flüchtigt: Die Anlage zu bei­dem bringt Hein­rich bere­its im Namen mit.
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Zwis­chen Gesellschaft­sro­man und Pornografie: Der Sit­ten­ro­man im Lei­h­buch nach 1945
Anders als der pornografis­che Roman bein­hal­tet der Sit­ten­ro­man in der Regel keine reine Aufzäh­lung sex­ueller oder gar abar­tiger Hand­lun­gen. Er ist der ero­tisch und sex­uell angedeutete Teil der Sparte „Gesellschaft­sro­mane“, in dem es mehr um Anspielun­gen und Auss­chmück­un­gen als reelle Schilderung geht. Dass es „Aus­reißer“ gibt, etwa in Rich­tung Sadis­mus und Voyeuris­mus (Aus­peitschun­gen), muss aus­drück­lich betont wer­den. Darüber hin­aus allerd­ings hat der Sit­ten­ro­man im Ver­gle­ich zur Pornografie eine – wenn man das so sagen will – soziale Ziel­rich­tung: Er bein­hal­tet dis­tanziert-kri­tis­che Betra­ch­tung der beste­hen­den Gesellschaft, ihrer fest­ge­fahre­nen (Standes-) Regeln und ihrer (oft klein­bürg­er­lich-kleingeisti­gen) Tabus. Es war wohl genau jene Eng­stirnigkeit des bürg­er­lichen Lagers, die manchen Autoren ver­an­lasste, via „Sit­ten­ro­man“ seine Kri­tik zu artikulieren.
Schau­plätze der Hand­lung sind Bor­delle und Luxu­sap­parte­ments mit Edel­pros­ti­tu­ierten, aber auch der Straßen­strich und auch die aus Not geborene Hur­erei. Arm und Reich als Klis­chee – Aus­beu­tung der Unter­schicht durch die (ego­is­tis­chen, unsozial denk­enden) Reichen, aber auch durch skru­pel­lose Zuhäl­ter bzw. „Madames“, die der­sel­ben unter­priv­i­legierten Schicht entstam­men wie die aus­ge­beuteten Mäd­chen.
Die Hand­lung spielt wohl auch in Deutsch­land, wird aber mit Vor­liebe ins (exo­tis­che) Aus­land ver­legt; oft genug damit ver­bun­den sind Aben­teuer in frem­den Län­dern oder auch Krim­i­nalfälle. Beson­ders reizvoll scheint es für die Autoren gewe­sen zu sein, lange Sequen­zen in Bor­dellen oder gehobe­nen Etab­lisse­ments spie­len zu lassen – so liest sich das manch­es Mal wie eine Philip­pi­ka für die Pros­ti­tu­tion. In der Anpreisung der Romane durch die Ver­lage spie­len Frankre­ich und vor allem die franzö­sis­che Haupt­stadt Paris eine große Rolle. Das franzö­sis­che „savoir-vivre“ als Erk­lärung für man­gel­nde Sit­tlichkeit und Unmoral – die dama­li­gen Vor­be­halte und Ressen­ti­ments gegenüber unseren Nach­barn jen­seits des Rheins, wer­den in den Roma­nen immer wieder deut­lich.
Ein Aspekt, der in vie­len Sit­ten­ro­ma­nen eine wesentliche Rolle spielt, muss hier deut­lich her­vorge­hoben wer­den: Die Kri­tik an der „nor­malen“ bürg­er­lichen und klein­bürg­er­lichen sowie der soge­nan­nten gehobe­nen Gesellschaft ist vie­len Autoren (in der Regel sind es männliche Ver­fass­er) ein wichtiges Anliegen – das wird fast in jedem Roman klar erken­ntlich ange­sprochen. Das Ver­lo­gene und Moralin­saure, Schein­heiligkeit und Geheimnistuerei bei gle­ichzeit­igem Eifer, selb­st an der lukra­tiv­en Szene mitzu­ver­di­enen, beziehungsweise sein­er (kosten­losen) Lust, etwa als Bürg­er­meis­ter und son­stiges Mit­glied der gehobe­nen Gesellschaft, frö­nen zu kön­nen: dage­gen wird angeschrieben.
Und, das wird weit­er unten deut­lich wer­den, genau das sind wohl oft genau die Stellen in den Sit­ten­ro­ma­nen, die den eigentlichen Anlass zur Indizierung geben. Denn der Herr Regierungsrat, der in den Puff geht, oder der Richter, der sich von der Edel­pros­ti­tu­ierten ver­wöh­nen lässt, aber auch der wohlhabende Bürg­er, der seine Tochter in eine eben­so wohlhabende Fam­i­lie weit­ergibt, also weit­er­ver­heiratet – das von Autoren­seite aufgedeckt und gar angeprangert zu sehen – undenkbar! Denn das wurde – wie es scheint – emp­fun­den als direk­ter Angriff auf die Her­ren (meis­tens) und Damen Tugend­wächter an den zahlre­ichen Gericht­en und in der Bun­de­sprüf­stelle für jugendge­fährdende Schriften in Bad Godes­berg.
Ziel dieser Darstel­lung ist der Ver­such ein­er ersten Bestand­sauf­nahme. Während sich mit der Krim­i­nal- und West­ern­lit­er­atur im Lei­h­buch zumin­d­est Samm­lerkreise inten­siv­er beschäftigt haben, ins­beson­dere mit Vita und Werk einzel­ner Autoren wie C. V. Rock oder G. F. Unger, ist das Genre des Sit­ten­ro­mans noch so gut wie unbear­beit­et geblieben. Zwar wer­den für einzelne Titel, deren bib­li­ografis­che Dat­en und gegebe­nen­falls auch Inhalte als Geheimtipp unter Samm­lern aus­ge­tauscht wer­den, Phan­tasiepreise bezahlt, doch fehlt es bis dato sog­ar an ein­er einiger­maßen kom­plett zu nen­nen­den Bib­li­ografie.
Das soll hier nachge­holt wer­den und zugle­ich durch inten­sives Zitieren aufmerk­sam gemacht wer­den auf den einen oder anderen Titel, der ein­er inten­siv­eren Aufmerk­samkeit wert sein kön­nte. Ein beson­deres Augen­merk gilt den von Gericht­en und der Bun­de­sprüf­stelle für jugendge­fährden­den Schriften als jugendge­fährdend beurteil­ten Titeln, sind es doch oft genug – wenn auch nicht immer – die inter­es­san­ter gestal­teten Darstel­lun­gen.
Eine kom­plette Erfas­sung der dem Sit­ten­ro­man zuzurech­nen­den Titel ist angestrebt, kann jedoch nicht garantiert wer­den, da immer wieder ein­mal Romane (bei Anti­quaren, auf Trödelmärk­ten oder gar aus Pri­vatbe­sitz wie z. B. Nach­lässen von Autoren oder ehe­ma­li­gen Ver­lagsmi­tar­beit­ern) auf­tauchen, die auch in ver­sierten Samm­lerkreisen für Über­raschun­gen sor­gen.
Die hier vorgelegte Darstel­lung des Sit­ten­ro­mans im Lei­h­buch ist keine sozi­ol­o­gis­che Aufar­beitung des The­mas, son­dern lediglich ein Ver­such, das The­men­feld möglichst genau abzuk­lopfen. Um den Ein­druck beim Leser der Mono­grafie ein­dringlich zu gestal­ten, wird auf das Mit­tel des inten­siv­en Zitierens zurück­ge­grif­f­en. „Stel­len­pick­en“, wie dies jahre- oder gar jahrzehn­te­lang durch die amtlich bestell­ten Jugend­schützer prak­tiziert wurde, würde nie zu einem Gesamtein­druck führen. Daher sollen ver­gle­ich­sweise län­gere Auszüge aus den einzel­nen Roma­nen die Möglichkeit schaf­fen, Ein­drücke über die gesellschaftliche bzw. gesellschaft­skri­tis­che Ten­denz zu gewin­nen. Denn eins – das sei vor­weg gesagt – scheint mir den Jugend­schützern an den Gericht­en wie in der Bun­de­sprüf­stelle für jugendge­fährdende Schriften vor­rangig als eine Begrün­dung für fest­gestellte Jugendge­fährdung am Herzen gele­gen zu haben: Kri­tik am (gut-)bürgerlichen Scheinidyll, wie es die Main­stream-Lit­er­atur ins­beson­dere in Form des all­ge­meinen Unter­hal­tungss­chrift­tums wie zum Beispiel als Fort­set­zungsro­mane in Illus­tri­erten, aber auch als soge­nan­nte E‑Literatur den Leserin­nen und Lesern anbot.
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Weit­ere Titel kön­nen Sie in unseren Neuer­wer­bungslis­ten für die Ger­man­is­tik ent­deck­en!

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