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WDR 3 Kulturfeature: „Pier Paolo Pasolini, der vom Leben verurteilte Dichter

Logo WDR bei Wikimedia Commons„Kün­stler, Lehrer, Katho­lik: Pier Pao­lo Pasoli­ni war alles zugle­ich – mit ein­er Lei­den­schaft, die seine Zeit über­forderte. Eine Hom­mage zu seinem 100. Geburt­stag.“
(WDR, Wolf Won­dratschek)

Sie kön­nen die Sendung, die am 5.3.2022 in der Rei­he „ZeitZe­ichen“ lief, über die Seite des WDR nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden.

WDR ZeitZeichen zu Pier Paolo Pasolini

Logo WDR bei Wikimedia Commons„Dichter und Filmemach­er, Marx­ist, beken­nen­der Schwuler und kri­tis­ch­er Katho­lik: Pier Pao­lo Pasoli­ni ist alles zugle­ich – mit ein­er Lei­den­schaft, die seine Zeit über­fordert. Unter bis heute nicht endgültig gek­lärten Umstän­den find­et der bedeu­tende Vertreter des ital­ienis­chen Neo­re­al­is­mus ein gewalt­sames Ende.
Am Abend vor seinem grausamen Tod gibt Ital­iens umstrit­ten­ster Intellek­tueller sein let­ztes Inter­view. „Für das Leben, das ich führe, bezahle ich einen Preis“, beken­nt Pier Pao­lo Pasoli­ni darin. Sechs Stun­den später, in den Mor­gen­stun­den des 2. Novem­ber 1975 find­et man seinen völ­lig zer­schmettert­er Kör­p­er im Küsten­vorort Ostia, 30 Kilo­me­ter von Rom ent­fer­nt, am Rande ein­er Barack­en­sied­lung.
Als Täter ver­haftet die Polizei den jun­gen Strich­er Pino Pelosi, den der offen schwul lebende Pasoli­ni in der Nacht in seinem Alfa Romeo mitgenom­men haben soll. Der 17-Jährige geste­ht, den bekan­nten Regis­seur niedergeschla­gen und mit dessen Auto über­rollt zu haben. 1979 wird Pelosi wegen Mordes zu neunein­halb Jahren Haft verurteilt.

Dis­si­dent zwis­chen allen Stühlen
Pier Pao­lo Pasoli­ni ist zeitlebens ein Seis­mo­graf der ital­ienis­chen Gesellschaft, deren Brüche er in Gedicht­en und Fil­men radikal offen­legt. Ein Dis­si­dent zwis­chen allen Stühlen, ver­has­st von der Recht­en, vom Vatikan als Satan ver­teufelt und von der Linken abgelehnt. Die Kom­mu­nis­tis­che Partei schließt ihn wegen „moralis­ch­er Unwürdigkeit“ aus.
Die Auswüchse der Kon­sumge­sellschaft erlebt der Marx­ist Pasoli­ni als einen Alb­traum: „Wir haben es mit dem Entste­hen eines neuen Total­i­taris­mus zu tun, einem gesellschaftlichen Prozess, den ich als kul­turelle Gle­ich­schal­tung oder Niv­el­lierung beze­ichne, die weit über den Faschis­mus hin­aus­ge­ht. Es ist die Kon­sumge­sellschaft, die alles Authen­tis­che und Beson­dere zer­stört.“

Mit­be­grün­der des Neo­re­al­is­mus
Am 5. März 1922 als Sohn eines gewalt­täti­gen Mus­soli­ni-Anhängers und ein­er antifaschis­tis­chen Mut­ter geboren, wächst Pier Pao­lo Pasoli­ni in ärm­lichen Ver­hält­nis­sen auf. Auf­stände der Lan­dar­beit­er im Fri­aul gegen die Groß­grundbe­sitzer prä­gen sein poli­tis­ches Denken. Mit 27 Jahren kommt er im Jan­u­ar 1950 nach Rom, wo er in der Bor­ga­ta, einem Slum am Stad­trand, ums Über­leben kämpft.
In seinem ersten Roman „Ragaz­za di Vita“ schildert er 1955 das raue Leben kleinkrim­ineller Jugendlich­er in den Elendsvierteln. Unter­stützt von Regis­seur Fed­eri­co Felli­ni ent­deckt Pasoli­ni das Kino für sich und erhält für seine neo­re­al­is­tis­chen Debütwerke „Acca­tone“ und „Mam­ma Roma“ großes Lob der inter­na­tionalen Filmkri­tik.
Rund 20 filmis­che Essays und Spielfilme dreht Pasoli­ni von 1961 bis 1975. Sein let­zter, „Die 120 Tage von Sodom“ nach dem Roman des Mar­quis de Sade, ist sein radikalster. Wegen drastis­ch­er Darstel­lun­gen wider­wär­tiger, faschis­tis­ch­er Gewalt zählt er zu den umstrit­ten­sten Werken der Filmgeschichte und ste­ht noch heute in vie­len Län­dern auf dem Index. Der Regis­seur selb­st erlebt die Urauf­führung nicht mehr: Wenige Monate zuvor wird er in Ostia umge­bracht.

Wer sind die wahren Mörder?
An der Schilderung des Tather­gangs durch den als Mörder verurteil­ten Pino Pelosi beste­hen allerd­ings schon damals starke Zweifel. Zeu­ge­naus­sagen und gerichtsmedi­zinis­che Unter­suchun­gen hat­ten ergeben, dass mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahrschein­lichkeit mehrere Per­so­n­en an Pasoli­n­is Ermor­dung beteiligt waren.
So kon­nten keine Reifen­spuren an dessen Leiche fest­gestellt wer­den, was der Aus­sage Pelo­sis wider­sprach. Dage­gen deuten die ver­heeren­den Ver­let­zun­gen auf einen stumpfen Met­all­ge­gen­stand als Tat­waffe hin. 2005 erk­lärt Pelosi, den Mord auf Anweisung dubios­er Hin­ter­män­ner aus­ge­führt zu haben. Als er schließlich eine Tat­beteili­gung völ­lig bestre­it­et, wird der Fall neu aufgerollt, aber 2015 wegen fehlen­der neuer Beweise endgültig zu den Akten gelegt.“

(WDR, Detlef Wulke, Mat­ti Hesse)

Sie kön­nen die Sendung, die am 5.2.2022 in der Rei­he „ZeitZe­ichen“ lief, über die Seite des WDR nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden.

Deutschlandfunk Kultur „Lange Nacht“: „Eine verzweifelte Vitalität – 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini“

Logo Deutschlandfunk bei Wikimedia Commons„Am 5. März 2022 wäre Pier Pao­lo Pasoli­ni 100 Jahre alt gewor­den. Der Autor, Dichter und Filmemach­er wurde mit seinen polar­isieren­den und kün­st­lerisch unver­gle­ich­lichen Arbeit­en welt­berühmt.
In dem Ver­such ein­er Def­i­n­i­tion sagt Pasoli­ni: „Eine Def­i­n­i­tion mein­er Selb­st? Es ist wie die Frage nach der Def­i­n­i­tion des Unendlichen. Es gibt ein inneres und ein äußeres Unendlich­es. Wenn ich an mich denke, denke ich an etwas Unendlich­es. Es ist unmöglich für mich, dafür eine Def­i­n­i­tion zu find­en. Für Sie bin ich wahrschein­lich etwas Bes­timmtes, für mich aber bin ich unendlich. Ich bin der Spiegel des äußeren Unendlichen. Und ich kann es nicht definieren. Sich­er kön­nte ich Slo­gans, Sprüche erfind­en, wom­öglich nette Anek­doten, die für Salonge­spräche tauglich wären. Vielle­icht kann ich aber einen Satz von Elsa Morante über mich zitieren: sie hat mal gesagt ich sei ein Narziss, der glück­lich in sich selb­st ver­liebt ist. Aber ich füge hinzu, ein Narziss, der auch unglück­lich in die Welt ver­liebt ist.“

Ein unwürdi­ges Ende
Am 2. Novem­ber 1975 in Ostia, Lun­go­mare Duilio, bei Rom fährt um 1 Uhr 30 in der Nacht ein Alfa 2000 CT mit hoher Geschwindigkeit eine Straße ent­lang. Eine Ein­heit der Cara­binieri ver­fol­gt den Wagen und zwingt den Fahrer anzuhal­ten. Es ist ein junger Mann, ger­ade mal siebzehn Jahre alt. Sein Name ist Giuseppe Pino Pelosi. Er scheint außer sich zu sein. Am Kopf hat er eine Wunde. Die Wagen­pa­piere ver­rat­en, dass der Besitzer des Wagens der bekan­nte Schrift­steller, Filmemach­er und Dichter Pier Pao­lo Pasoli­ni ist.
Die Nachricht ver­bre­it­et sich blitzar­tig: Pier Pao­lo Pasoli­ni ist von einem sein­er Ragazzi di vita auf bru­tal­ste Weise ermordet wor­den. Der Schrift­steller ist am Tag sein­er Ermor­dung 53 Jahre alt. Der Mord wird von der römis­chen Polizei in den Siebziger Jahren rel­a­tiv schnell abge­hakt, obwohl es Wider­sprüche und offen­sichtliche Unglaub­würdigkeit­en in diesem Fall gibt. Im Gefäng­nis sitzt ein geständi­ger Schuldiger.
Am 7. Mai 2005, dreißig Jahre nach dem Mord an Pasoli­ni. In ein­er Fernsehsendung „Le ombre del gial­lo“ sagt Giuseppe Pelosi zum ersten Mal in der Öffentlichkeit, dass er in jen­er Nacht zwis­chen dem 1. und dem 2. Novem­ber 1975 am Idrosca­lo nicht allein war. Drei Män­ner mit sizil­ian­is­chem oder kal­abre­sis­chem Akzent hät­ten Pasoli­ni zu Tode geprügelt. Pelosi nen­nt auch Namen. Alles Men­schen, die heute tot sind. Er habe ver­sucht, Pasoli­ni zu vertei­di­gen und sich so die Ver­let­zun­gen am Kopf zuge­zo­gen. So lautet heute die Wahrheit von Pelosi.

Prä­gung in der Kind­heit
Pier Pao­lo Pasoli­ni wurde am 5. März 1922 in Bologna geboren. In dieser „Stadt voller Bogengänge“, fing er vor dem zweit­en Weltkrieg an, Kun­st­geschichte zu studieren. Seine kün­st­lerische Begabung und sein pro­fun­des Wis­sen spiegeln sich später in sein­er Filmäs­thetik wieder.
Die Beziehung zwis­chen Pasoli­ni und sein­er Mut­ter ist innig, eine Art Sym­biose, eine große Liebe… „Sie erzählte mir Märchen, Fabeln, sie las sie mir vor. Meine Mut­ter war für mich wie Sokrates. Sie hat­te, und hat immer noch, eine ide­al­is­tis­che, und sich­er auch eine ide­al­isierte Auf­fas­sung der Welt. Sie glaubt wirk­lich an Hero­is­mus, Barmherzigkeit, Mitleid, Großzügigkeit. Das alles habe ich auf eine fast pathol­o­gis­che Weise von ihr aufge­saugt.“
Die Beziehung zum Vater, einem Offizier, war von Anfang an belastet: „Jeden Abend wartete ich mit Panik auf die Stunde des Die Beziehung zum Vater, einem Offizier, war von Anfang an belastet: „Jeden Abend wartete ich mit Panik auf die Stunde des Aben­dessens, in der Gewis­sheit, dass es zu Stre­it­ereien kom­men würde.“, in der Gewis­sheit, dass es zu Stre­it­ereien kom­men würde.“

Bewegte Gemälde
Als Filmemach­er war Pasoli­ni Auto­di­dakt. Sein Auge ist zweifel­los an der Kun­st der gro8en Meis­ter der ital­ienis­chen Renais­sance und jen­er der Mod­erne geschult. Und genau darin liegt oft das Geheim­nis der Schön­heit sein­er filmis­chen Bilder jen­seits der Zer­ris­senheit und der Gewalt der dargestell­ten Charak­tere und trotz der aufwüh­len­den Dra­matik der Drehbüch­er.
Über seine Tech­nik als Filmemach­er schrieb Pasoli­ni: „Was ich als Vision im Kopf habe als Sicht­feld sind die Fresken von Masac­cio und Giot­to – sie mag ich von den Malern am meis­ten, neben bes­timmten Manieris­ten (zum Beispiel Pon­tor­mo).
„Ich kann keine Bilder, Land­schaften und Fig­urenkom­po­si­tio­nen ver­ste­hen, die keinen Bezug haben zu dieser mein­er anfänglichen Lei­den­schaft für die Malerei des 14. Jahrhun­derts, die den Men­schen zum Mit­telpunkt jed­er Per­spek­tive macht. Wenn meine Bilder in Bewe­gung sind, dann so, als bewegte sich das Objek­tiv auf ihnen wie auf einem Gemälde: ich ver­ste­he den Hin­ter­grund immer als den eines Gemäldes, als ein Büh­nen­bild, und deswe­gen greife ich es immer frontal an.“ […]

Aus­blick auf die Zukun­ft
Dreißig Jahre nach Pasoli­n­is Tod gewin­nt seine Posi­tion erneut Gewicht und offen­bart prophetis­che Züge. Wir befind­en uns in ein­er Zeit ein­er gewalti­gen Migra­tionswelle aus den armen, poli­tisch unsicheren Län­dern, wie die Verse aus Alì dagli occhi azzur­ri bele­gen. Der Dichter evoziert ein Heer von Ein­wan­der­ern, die das Mit­telmeer über­queren und an der Küste Ital­iens lan­den… Enzo Sicil­iano schreibt in sein­er großen Pasoli­ni Biogra­phie: „Pasoli­ni sah eine stür­mis­che Zukun­ft voraus, eine Zukun­ft voller sozialer Kon­flik­te, zu deren Lösung die alten, fest­ge­fügten Schema­ta und die alten Überzeu­gun­gen keinen Beitrag mehr wür­den leis­ten kön­nen.
Als kul­tur­poli­tis­ch­er Denker und Beobachter der Entwick­lung unser­er west­lichen Gesellschaft ist Pasoli­ni Ende der Siebziger Jahre zum Pes­simis­ten gewor­den. Als Kün­stler kämpft er gegen die Verzwei­flung an und bleibt empfänglich für den Zauber der Welt.

Weg zurück zur Men­schlichkeit
„Der Atem Indi­ens“, ein Bericht über Pasoli­n­is erste Reise durch den Sub­kon­ti­nent, beweist seine Fasz­i­na­tion für ferne Län­der: „Die Begeg­nung mit der Drit­ten Welt kann uns zeigen, dass es etwas wie einen gemein­samen Nen­ner zwis­chen allen Men­schen gibt.“
Die Botschaft Pasoli­n­is ist klar: in den tiefen Schicht­en der Geschichte, des Lebendi­gen über­haupt, ist ein Kon­tin­u­um der Wel­ter­fahrung vorhan­den. Und der Schlüs­sel, den wir brauchen, um uns diese Erfahrung wieder aneignen zu kön­nen, ist in unserem men­schlichen Kör­p­er auf­be­wahrt oder begraben, solange er nicht von der Kon­sumge­sellschaft beherrscht, ver­sklavt und im Sinne Pasoli­n­is ver­stüm­melt wor­den ist.“

(Deutsch­land­funk, Agnese Grieco)

Die Sendung lief am 5.3.2022 im Deutsch­land­funk. Eine Audio-Auf­nahme ist lei­der nicht mehr ver­füg­bar, aber Sie find­en auf der Seite des Senders noch das Manuskript zum Down­load.

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