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SWR2 Wissen: „Publish or perish – Publizieren in der Wissenschaft“

Logo SWR2 bei Wikimedia Commons„Wer in der Wis­senschaft Erfolg haben will, muss viel veröf­fentlichen. Die Folge: Hal­b­gare Ergeb­nisse, nicht wieder­hol­bare Ver­suche, Pseu­do-Jour­nale. Der Pub­lika­tions­druck ist groß.

Impact Fac­tor (IF): Leitwährung des Wis­senschafts­be­triebs
Fast 80 Prozent der Forschen­den an deutschen Hochschulen haben befris­tete Verträge. Für Ver­längerun­gen sind sie auf den guten Willen ihrer Vorge­set­zten angewiesen. „Pub­lish or per­ish“ – Veröf­fentlichen oder Ver­schwinden – das gilt vor allem für diese Per­so­n­en­gruppe. Wer darüber öffentlich spricht, muss mit Nachteilen rech­nen.
Bevor es zu ein­er Veröf­fentlichung bei einem Fach­magazin kommt, wird der Beitrag von Kol­legin­nen und Kol­le­gen begutachtet. Dieses soge­nan­nte „Peer review“-Verfahren soll die Qual­ität sich­ern. Dabei gilt: Je bekan­nter das Jour­nal ist, desto bess­er für die Rep­u­ta­tion und damit für die Kar­riere. Im Pub­lika­tions-Wet­t­lauf zählt vor allem, wie häu­fig das wis­senschaftliche Jour­nal zitiert wird. Daraus ergibt sich der soge­nan­nte Impact-Fak­tor. Er ist eine wichtige Leitwährung des Wis­senschafts­be­triebes.

„Daten­mas­sage“ und Pro­duk­tion von Forschungsmüll
2014 veröf­fentlichte das Mag­a­zin „The Lancet“ – eines der weltweit renom­miertesten Medi­z­in­jour­nale – eine Artikel-Serie. Titel: „Increas­ing val­ue, reduc­ing waste“, zu Deutsch: „Wert erhöhen, Müll ver­mei­den“. Mehr als zwei Drit­tel aller Stu­di­en im Bere­ich der bio­medi­zinis­chen Forschung, so das Faz­it, seien ein­fach Müll. Nicht repro­duzier­bar, nicht rel­e­vant.
2011 veröf­fentlicht­en Forsch­er von der Uni­ver­sität Penn­syl­va­nia einen Artikel zur „Falsch pos­i­tiv­en Psy­cholo­gie“. Darin zeigten sie, wie ein­fach es ist, mit ein paar Tricks und Knif­f­en ein sig­nifikant pos­i­tives – also nicht zufäl­liges – Ergeb­nis her­beizurech­nen. „Daten­mas­sage“ wird das selb­stiro­nisch genan­nt.

„Open Data“: offene Dat­en ermöglichen Nach­prü­fung von Ergeb­nis­sen
Felix Schön­brodt, Pro­fes­sor für Psy­cholo­gie an der Lud­wig-Max­i­m­il­ian-Uni­ver­sität München, hat mit Kol­le­gen ein „Com­mit­ment to research trans­paren­cy“ entwick­elt. Eine „Selb­stverpflich­tung zur Forschungstrans­parenz“. Dazu gehört auch das soge­nan­nte „Open Data“, bei allen veröf­fentlicht­en Forschung­spro­jek­ten wer­den die Roh­dat­en eben­falls zur Ver­fü­gung gestellt. Vor allem die jun­gen Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler machen Druck, beobachtet Schön­brodt – für mehr Trans­parenz und Qual­ität.
Anhand der offen­gelegten Dat­en lassen sich Unter­suchun­gen gle­ich nach Veröf­fentlichung über­prüfen. Die soge­nan­nte „Präreg­istrierung“ von Stu­di­en ist eine weit­ere Forderung, um die Stu­di­en­qual­ität zu verbessern. Dabei wird das method­is­che Vorge­hen inklu­sive Forschung­shy­pothese und ‑design sowie die Art der sta­tis­tis­chen Auswer­tung vor Stu­di­en­be­ginn fest­geschrieben. So lassen sich Unter­suchun­gen ein­fach­er wieder­holen und weit­er­en­twick­eln. Das war in der Ver­gan­gen­heit oft ein Prob­lem.

Preprints ermöglichen wis­senschaftlichen Aus­tausch schon vor der Peer Review
Auch die Dynamik der Coro­na-Pan­demie hat die Schwächen des tra­di­tionellen Pub­lika­tion­ssys­tems deut­lich gemacht. Vor allem durch den „Peer Review“, die vorherige wis­senschaftliche Beurteilung, dauert es zu lange, bis die Ergeb­nisse veröf­fentlicht wer­den. Deshalb bes­tim­men auch derzeit soge­nan­nte „Preprints“ die wis­senschaftliche Debat­te. Stu­di­en, die ohne eine vorherige Begutach­tung, online auf Wis­senschaft­splat­tfor­men veröf­fentlicht und von den Forsch­ern disku­tiert wer­den kön­nen.

Wer zahlt, wird veröf­fentlicht: Sys­tem ist anfäl­lig für Miss­brauch
Der Pub­lika­tions­druck treibt nicht nur viele Wis­senschaftler an. Auch zwielichtige Ver­lage ver­suchen, daraus Kap­i­tal zu schla­gen – mit pseudowis­senschaftlichen Ange­boten. Dabei sind Fake-Kon­feren­zen nur ein klein­er Teil des Geschäfts. „Preda­tor Jour­nals“ – Raub­jour­nale – wer­den die Fach­magazine genan­nt, die fast jede Arbeit veröf­fentlichen, solange der Autor oder die Autorin eine entsprechende Gebühr dafür über­weist. Wer zahlt, dessen Arbeit wird veröf­fentlicht – unab­hängig von der Qual­ität.

Fake-Autor wird häu­figer zitiert als Albert Ein­stein
Wie beliebig die Pub­lika­tion­sprax­is ist, demon­stri­erten Wis­senschaftler vom Mass­a­chu­setts Insti­tute of Tech­nol­o­gy (MIT). Sie entwick­el­ten ein Com­put­er-Pro­gramm, das nach Eingabe von eini­gen Fach­wörtern selb­ständig Wis­senschaft­sar­tikel zusam­men­fab­u­lierte und veröf­fentlichte. Dazu erfan­den sie einen Autor und eine Soft­ware, die den Autor immer wieder wech­sel­seit­ig zwis­chen den Artikeln zitiert. Der Fake-Autor stand am Ende des Exper­i­mentes auf der Zita­tion­sliste noch vor Albert Ein­stein.

Qual­ität­sof­fen­sive an Berlin­er Gesund­heits­forschung­sein­rich­tung
In Berlin arbeit­et Neu­rolo­gie-Pro­fes­sor Ulrich Dirnagl seit drei Jahren an ein­er Qual­ität­sof­fen­sive für die Biowis­senschaft. Er ist Grün­dungs­di­rek­tor des soge­nan­nten „QUEST-Cen­ters“. QUEST ste­ht für „Qual­i­ty, Ethics, Open Sci­ence, Trans­la­tion“. Das Zen­trum arbeit­et am Berlin Insti­tute of Health, ein­er Gesund­heits­forschung­sein­rich­tung der Char­ité und des Max-Del­brück-Cen­trums für Moleku­lare Medi­zin.

Begabte Wissenschaftler*innen vor Frust schützen und in der Forschung hal­ten
7.000 Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler arbeit­en an der Char­ité und dem Max-Del­brück-Cen­trum. Ihnen soll das QUEST-Cen­ter Anreize bieten, sich ver­stärkt um die Qual­ität ihrer Forschung zu küm­mern. Auch, um zu ver­hin­dern, dass frus­tri­erte Nach­wuch­swis­senschaftler aufgeben. Für Dirnagl sind sie das schwäch­ste Glied im Sys­tem, denn viele tolle junge Forscherin­nen und Forsch­er geben nach weni­gen Jahren das Veröf­fentlichen auf.
„QUEST“ ver­sucht, dem Frust über die derzeit­ige Wis­senschaft­skul­tur gegen­zus­teuern und lobt regelmäßig Preise zur Unter­stützung junger Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler aus. Für Veröf­fentlichun­gen, die im altherge­bracht­en Pub­lika­tion­ssys­tem durchs Raster fall­en. Rep­lika­tion­sstu­di­en etwa, mit denen Ergeb­nisse über­prüft wer­den. Oder Artikel über soge­nan­nte Neg­a­tiv-Resul­tate, die wis­senschaftlich wichtig sind, aber kaum pub­liziert wer­den.

Bonus für Daten­trans­parenz
Auch wer seine Unter­suchungs­dat­en kom­plett veröf­fentlicht, wird belohnt. Alle Autoren, die ihre Roh-Dat­en mit den Ergeb­nis­sen zur Ver­fü­gung stellen, bekom­men seit 2019 an der Char­ité automa­tisch einen Bonus für Daten­trans­parenz. Fort­bil­dun­gen, Preise, Boni für mehr Qual­ität in der Wis­senschaft – das ist ein Exper­i­ment für alle Beteiligten, sagt Dirnagl.“
(SWR, Anja Schrum & Ernst-Lud­wig von Aster)

Sie kön­nen die Sendung von 2021, die zulet­zt am 3.8.2022 in der Rei­he „SWR2 Wis­sen“ lief, über die Seite des SWR nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden. Es gibt auch ein Manuskript zur Sendung.

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