Mit ihrem Programmbetrieb, dem Center for Literature (CfL), bespielt die Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung seit 2018 Burg Hülshoff, Geburtsort der Dichterin, und das Rüschhaus, ihre spätere Wohn- und Arbeitsstätte. Durch diese Arbeit transformieren sich Burg und Landhaus zu offenen Foren. Kunst wird hier Anstoß für lebendige Debatten.
Das Mission Statement des CfL (das übrigens auch auf Facebook, Instagram, Twitter und Vimeo vertreten ist):
Burg Hülshoff – Center for Literature (CfL) ist ein besonderer Ort für Literatur und ihre Vermittlung.
Für uns ist Literatur ein Fest, Anlass für Begegnung und im besten Fall Auslöser leidenschaftlicher und anhaltender Gespräche. Wir gehen gemeinsam auf die Suche nach Worten für den Wandel und lernen zusammen, wie Worte uns wandeln.
Im Programm des CfL verbinden sich Veranstaltungen, Residenzen, Forschung, partizipative Programme sowie drei Museen: Burg Hülshoff, Haus Rüschhaus und Droste-Landschaft : Lyrikweg, ein Museum in der Landschaft. Hinzu kommt unsere Digitale Burg als Ort der Teilhabe im Internet. Wir erinnern nicht nur als einzige Institution bundesweit in diesem Umfang an das Werk einer Schriftstellerin, sondern nehmen auch ihr Leben und ihre Zeit als Anlass, um das Jetzt und das Morgen zu befragen.
Texte und Öffentlichkeit
Sechs Jahrhunderte war die Burg Hülshoff vor den Toren Münsters Sitz eines Adelsgeschlechts. Bis heute prägt diesen Ort die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die in der ersten Lebenshälfte auf der Burg lebte, in der zweiten im nah gelegenen Rüschhaus. Durch sie sind beide Orte nicht nur Denkmäler, sondern Stätten herausragender poetischer Kunst und scharfsinniger Reflexion der Welt. Im Geist der Autorin, die ihre Heimat Westfalen im Wandel beschrieb, entsteht dieses Zentrum für Literatur in einer Post-Westfälischen Welt, einer Welt, in der die Grenzen der Nationalstaaten weiterhin bestehen, für manche jedoch durchlässiger geworden sind.
Denn war das Biedermeier, die Epoche der Dichterin, durch den Rückzug ins Private und die zunehmende Abgrenzung nationaler Territorien gekennzeichnet, ist uns Drostes Erbe Anlass zur Beschäftigung mit dem Öffentlichen und dem Offenen: Was bedeutet es, gemeinsam und öffentlich Texte zu hören und zu verstehen? Wie lesen wir einander – im close reading oder mit Distanz? Können wir Grenzen von Sprachen und Territorien mit Literatur überbrücken?
Zur Beantwortung dieser Fragen laden wir Menschen aus Kunst und Forschung ein, aus Institutionen, Initiativen und Unternehmen. Wir bieten darüber hinaus allen Raum, die sich einfach für Literatur, Künste und Diskurse begeistern. Sie können im CfL auch aus der Rolle des Publikums heraustreten und sich – wie die Lesebürger*innen – aktiv einbringen.
Kunstproduktion für eine vielfältige Gesellschaft
Seit 2018 entwickelt das CfL als Ort künstlerisch-praktischer Forschung Projekte zwischen Veranstaltung, Ausstellung und Dialog. Sie führen uns in Räume, in denen wir analog und digital zugleich unterwegs sein können.
Das CfL überträgt dabei Ästhetiken und Produktionsweisen anderer Künste (etwa Film oder Performing Arts) modellhaft auf das Feld von Textentstehung und ‑vermittlung. Performativ lösen sich literarische Texte in ergebnisoffenen Anordnungen und starken Inszenierungen auf. Diese transmedialen Formate entstehen im Netzwerk und in Koproduktion mit Literaturhäusern, Museen, Theatern, Festivals, Soziokultur, Bildungseinrichtungen und Netz-Initiativen. Sie fordern das strukturell konservative Feld der Literatur anhand gesellschaftspolitischer Themen heraus.
Wichtiger Baustein ist dabei das Residenzprogramm, das wir gemeinsam mit der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) realisieren. Studierende des Literarischen Schreibens und der Medienkunst kommen zur Burg und ins Rüschhaus, arbeiten an Manuskripten und entwerfen Projekte. Sie liefern neue Sichtweisen auf das, was schon lange besteht: Auslegungen der Texte und der Orte Drostes.
Die Arbeit des CfL macht das Erbe Droste-Hülshoffs für eine diverser werdende, mehrsprachige Gesellschaft, für ein internationales Publikum lesbar.
Droste als Frau, die dem katholisch geprägten Adel und der weißen Mehrheit Westfalens entstammte, konnte nur unter Widerständen schreiben und publizieren. Dies verpflichtet uns, den heute zu wenig gehörten Stimmen einen Resonanzkörper zu bieten, die ungesehenen Perspektiven sichtbar zu machen und letztlich die Gleichstellung und Emanzipation aller zu fördern und zu fordern.
Neue Lesarten der Texte Droste-Hülshoffs lassen uns so nicht nur die Vergangenheit neu lesen, sondern auch unser Zusammenleben anders begreifen. Aus Leben und Werk der Dichterin destillieren wir die Themen unserer Projekte, etwa die Veränderung des Planeten durch den Menschen, die Transformation ländlicher Räume oder die digitale Alphabetisierung.
Digitalität und Teilhabe
In Drostes Epoche war das Sammeln von Gegenständen eine beliebte Tätigkeit. Zeitgleich begannen die Gesellschaften Westeuropas im großen Maßstab und systematisch damit, Daten ihrer Einwohner*innen zu erfassen. Der Soziologe Armin Nassehi deutet dies bereits als frühe Digitalisierung, als Prozess, in dem die modern werdende Gesellschaft begann, sich in den gesammelten Daten wie in einem Spiegel zu betrachten.
Heute erhalten wir durch die digitale Transformation mehr Möglichkeiten, liefern unsere Daten aber auch schneller und in höherem Maße dem Unbekannten aus. Das Center for Literature möchte diese lange Digitalisierung, deren Beginn nach Nassehi ungefähr in die Zeit der Geburt Drostes fällt, erforschen und kritisch reflektieren. Kann uns zum Beispiel Künstliche Intelligenz helfen, einander und unsere Umwelt besser zu lesen? Oder reproduziert sie als von Menschen programmierte Maschine nur gängige Strukturen?
Mit Hilfe digitaler Formen und Formate öffnen wir das Feld der Literatur und kreieren Möglichkeiten, uns gemeinsam aktiv über den Wandel der Welt zu verständigen. Es geht auch darum, Wissenschaft für viele Menschen zugänglich zu machen und Forschungsprojekte zu ermöglichen, die sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und gesellschaftlichem Interesse bewegen – und in einem rein universitären Kontext vielleicht nicht zu denken sind.
Digitale Mittel und das Eintauchen in die konkreten Umgebungen spielen hier maßgebliche Rollen, sie ermöglichen Teilhabe in physischen, digitalen und hybriden Settings. Diese immersiven und partizipativen Ansätze zielen darauf, dass möglichst unterschiedliche Menschen sich in das kulturelle Erbe der Orte mit einschreiben, zielen auf eine »Poetik des Publikums«. Die Lesebürger*innen und die Junge Burg stehen für diese längst überfällige Demokratisierung des Literaturbetriebs.