„Große Freude über den Literaturnobelpreis? Nicht für Schriftsteller Albert Camus! Der Autor der weltberühmten Romane „Der Fremde“ und „Die Pest“ fühlt sich nach der Bekanntgabe der Auszeichnung gar nicht gut.
„Nobelpreis. Eigenartiges Gefühl der Niedergeschlagenheit und der Wehmut“, schreibt der französische Schriftsteller Albert Camus am 17. Oktober 1957 in sein Notizheft. Zuvor hat er offiziell erfahren, dass er tatsächlich den Literaturnobelpreis erhält. Die Nachricht über die Entscheidung der Schwedischen Akademie war bereits am Vorabend nach Paris durchgesickert.
„Auch Wochen danach hat er immer wieder Panikattacken und Angstzustände“, sagt Holger Vanicek, Präsident der Albert-Camus-Gesellschaft in Aachen. „Diese hohe Auszeichnung hat ihn enorm unter Druck gesetzt.“ Das gespaltene Echo in den Medien quält den Preisträger. Neben viel Beifall gibt es boshafte Kritik aus dem rechten Lager am linken Camus: Er sei ein Philosoph für Abiturklassen und sein Humanismus veraltet.
Keine Unterstützung von Sartre
Gegen diese Anfeindungen wird Camus von der Linken nicht verteidigt. Im Kreis um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir gilt der 43-Jährige als passé, weil er sich 1951 in seiner Essay-Sammlung „Der Mensch in der Revolte“ gegen alle Ismen gestellt hat – vor allem gegen den Kommunismus.
Der 1913 in der französischen Kolonie Algerien geborene Camus vertritt zudem im Algerien-Konflikt eine moderate Haltung. Während sich Sartre für die algerische Unabhängigkeit einsetzt, glaubt Camus an ein gleichberechtigtes französisches Algerien. Die beiden Existenzialisten kennen sich aus der Résistance. Sartre arbeitete damals bei der Widerstandszeitung „Combat“ mit, die Camus leitete.
Panik und Gleichgewichtsstörungen
Zwei Tage nach der Ernennung zum Literaturnobelpreisträger schreibt Camus in sein Notizheft: „Erschrocken über das, was mir zustößt und was ich nicht verlangt habe. Und zur Krönung des Ganzen so gemeine Angriffe, dass es mir das Herz zuschnürt.“
Camus Unwohlsein wirkt sich auch körperlich aus. Seit seinem 17. Lebensjahr ist er an Tuberkulose erkrankt, die noch nicht durch Medikamente behandelt werden kann. Den Oktober 1957 resümiert er mit den Worten: „Im Verlauf des Monats drei Erstickungsanfälle, verschlimmert durch klaustrophobische Panik. Gestörtes Gleichgewicht.“
Spende für spanische Anarchisten
Als Camus im Dezember 1957 zur Verleihung des Nobelpreises nach Schweden fährt, ist bei seinem Auftritt in Stockholm von seinen Ängsten nichts zu spüren. Seine Erfahrungen als Schauspieler und Regisseur scheinen ihm zugutezukommen. In seiner Dankesrede bringt er sein Selbstverständnis als engagierter Schriftsteller auf den Punkt: „Der Adel unseres Berufs wird stets in zwei schwer zu haltenden Verpflichtungen wurzeln: der Weigerung, wider besseres Wissen zu lügen, und dem Widerstand gegen die Unterdrückung.“
Rund die Hälfte des Preisgeldes spendet Camus an eine Selbsthilfeinitiative spanischer Anarchisten im Exil, die gegen das Franco-Regime gekämpft haben. Mit der anderen Hälfte kauft er sich in der Provence ein kleines Haus. Dort entstehen große Teile seines autobiografischen Romans „Der erste Mensch“. Als Albert Camus Anfang 1960 bei einem Autounfall stirbt, befinden sich die Romanfragmente im Kofferraum. 1994 wird daraus ein Buch – und ein Welterfolg.“
(WDR, Christoph Vormweg, Gesa Rünker)
Sie können die Sendung, die am 17.10.2022 in der Reihe „ZeitZeichen“ lief, über die Seite des WDR nachhören oder als Audiodatei herunterladen.