„Jessica Mitford ist schon als Kind rebellisch – und bleibt es bis zu ihrem Tod am 23. Juli 1996. Statt in der starren Welt der britischen Aristokratie zu verharren, macht sie als gesellschaftskritische Autorin Karriere.
„Von meinen Töchtern ist eine verrückter als die andere“, stöhnt David Mitford über seine sechs Mädchen. Tatsächlich leben nur zwei von ihnen ein für Angehörige der Oberschicht „normales“ Leben. Die übrigen sorgen jede auf ihre Art für Schlagzeilen.
Nancy wird mit bissig-amüsanten Romanen über die adelige Verwandtschaft zur Bestsellerautorin. Die schöne Diana verlässt Mann und Söhne, um den britischen Faschisten-Führer Oswald Mosley zu heiraten, und Unity wird zum glühenden Hitler-Groupie.
Jessica das „rote Schaf“
Und dann ist da noch Jessica Mitford. 1917 in Oxfordshire geboren, ist sie schon als Kind eine Rebellin – furchtlos, abenteuerlustig, frech und witzig. Für das rechte Gedankengut ihrer Schwestern hat sie nur Verachtung übrig. Decca, wie sie von allen genannt wird, ist das „rote Schaf“ der Familie und hat mit 19 Jahren endgültig genug von der britischen Aristokratie. Zusammen mit dem Sozialisten Esmond Romilly, einem Neffen von Winston Churchill, brennt sie durch, um im spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen.
Die beiden heiraten und gehen in die USA. Ihre kurze Ehe ist jedoch geprägt von Schicksalsschlägen: Ihre erste Tochter stirbt mit nur fünf Monaten an Masern. Romilly selbst kommt 1941 bei einem Kriegseinsatz gegen Nazideutschland ums Leben. Sein Tod hinterlässt bei Mitford eine Lücke, die auch ihr zweiter Mann, der Bürgerrechtsanwalt Robert Treuhaft, nie ganz schließen kann.
Das Paar zieht nach Kalifornien, tritt für einige Jahre in die Kommunistische Partei ein und engagiert sich in der Bürgerrechtsbewegung. Gemeinsam haben sie noch zwei Söhne, von denen der ältere 1955 mit elf Jahren von einem Bus überfahren wird. Trotz der privaten Tragödien bleibt Mitford eine Kämpferin – und eine Frau, die das Leben in vollen Zügen genießt.
Investigativ-Journalistin und Bestseller-Autorin
Sie ist bereits 43, als ihr mit „Hunnen und Rebellen“ ein erster großer Erfolg als Autorin gelingt. Danach kann Mitford sich vor Aufträgen kaum retten: Die renommiertesten Zeitungen wollen Texte von ihr. Sie schreibt über Rassismus, Gefängnisse, Schönheitsfarmen, Sex oder überteuerte Restaurants. Ihr Buch „Der Tod als Geschäft“, eine Abrechnung mit der skrupellos geldgierigen amerikanischen Bestattungsindustrie, wird 1963 zum heiß diskutierten Bestseller.
Ihre provokante und humorvolle Art kommt an. Mitford ist immer unterwegs, hält Lesungen und Vorträge, trifft sich zum Lunch mit Liz Taylor und spielt in einem Film von Woody Allen mit. Mit 78 Jahren erkrankt sie an Lungenkrebs. Nach ihrem Tod am 23. Juli 1996 wird sie ohne Zeremonie verbrannt und die Asche ins Meer gestreut. Eine Bestattung, so günstig wie möglich – genau so hat es Jessica Mitford geplant.“
(WDR, Christiane Kopka, Hildegard Schulte?)
Sie können die Sendung, die am 23.07.2021 in der Reihe „ZeitZeichen“ lief, über die Seite des WDR nachhören oder als Audiodatei herunterladen.