„Es ist wohl das älteste gedruckte Buch der Welt: Im Jahr 868 wIrd China vom Diamant-Sutra – einem Text des Mahayana-Buddhismus – ein Holztafeldruck angefertigt. In einer Höhlen-Bibliothek wird es 1.000 Jahre später wiederentdeckt.
Die Mogao-Grotten liegen südlich der chinesischen Stadt Dunhuang – an der Grenze zur Mongolei und am Rand der Taklamakan-Wüste. Dort befindet sich ein Sandstein-Felsmassiv mit fünf Pagoden-Klöstern und einem riesigen Höhlensystem, das zwischen dem 4. und 14. Jahrhundert angelegt worden ist.
In den Mogao-Grotten, die heute UNESCO-Weltkulturerbe sind, gibt es neben kunstvollen buddhistischen Fresken an den Höhlenwänden auch zahlreiche Schreine und mehr als 200 Skulpturen. Ende des 19. Jahrhunderts sind viele der verlassenen Grotten mit Wüstensand zugeweht. Einer der wenigen Menschen, die damals dort leben, ist der Mönch Wang Yuanlu, der sich als Wächter versteht.
Von Mönchen eingemauert
Im Jahr 1900 entdeckt Wang Yuanlu eines Tages einen verborgenen Durchgang, der hinter einer Malerei versteckt ist. Der Mönch bricht die Tür auf und blickt in eine Schatzkammer: Die Höhle enthält die größte Bibliothek mittelalterlicher asiatischer Manuskripte in mehr als 20 Sprachen und Schriften.
Die rund 50.000 Schriftrollen stammen aus dem 4. bis 11. Jahrhundert und sind von Mönchen eingemauert worden. Eine der Rollen ist fünf Meter lang und mit Holzdruckblöcken in chinesischer Sprache beschriftet. Am Anfang steht eine Widmung: „Ehrfürchtig hergestellt zur allgemeinen Verteilung von Wang Jie, zu Ehren seiner Eltern am 15. des 4. Monats des 9. Jahrs der Regierungsperiode Xiantong.“ (Vermerk in der Diamant-Sutra aus einer der Mogao-Höhlen)
Eine Buddha-Rede über vollkommene Weisheit
Nach dem westlichen Kalender ist damit der 11. Mai 868 gemeint. „Damit haben wir einen sicher datierbaren Druck“, sagt die Tibetologin, Sinologin und Buddhismuskundlerin Carmen Meinert vom Buddhist-Road-Projekt der Religionswissenschaftlichen Zentrums „Ceres“ der Ruhr-Universität Bochum. „Und damit sind wir 600 Jahr vor dem Druck der Gutenberg-Bibel.„
Der erste sicher datierbare Buchdruck der Menschheitsgeschichte ist eine Übersetzung aus dem Sanskrit: Eine Rede Buddhas über die Vollkommenheit der Weisheit, die so scharf sei, dass sie Diamanten spalten könne. Deshalb wird sie als Diamant-Sutra bekannt. Ursprünglich stammt sie aus Tibet und wurde im ersten Jahrhundert verfasst. Ein Sutra ist ein Lehrgespräch zwischen Meister und Schüler.
In der British Library verwahrt
Das Diamant-Sutra gilt heute als einer der wichtigsten Texte des Mahayana-Buddhismus. Dieser Religionsrichtung ist in Tibet, China, Japan, Vietnam, Taiwan und Korea weit verbreitet. Kein Wunder: Im Text steht, dass es Glück bringe, wenn man das Diamant-Sutra weiter verbreite. Auch die Schriftrolle aus der Mogao-Höhle ist eine solche Kopie.
Als um 1905 die Fachwelt auf die Entdeckung der Bibliothekshöhle von Mogao aufmerksam wird, reisen Forscher aus aller Welt dorthin, um Schriftrollen zu kaufen. Der britische Archäologe Aurel Stein kauft 1907 dem Höhlenwächter Wang Yuanlu hunderte Schriftrollen ab – darunter auch das Diamant-Sutra. Er bringt sie nach London in die British Library. Das Diamant-Sutra wird dort von 1987 bis 2013 restauriert und konserviert.“ (WDR, Christian Kosfeld, David Rother)
Sie können die Sendung, die am 11.5.2023 in der Reihe „ZeitZeichen“ lief, über die Seite des WDR nachhören oder als Audiodatei herunterladen.