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WDR Zeitzeichen zu Nâzim Hikmet

Logo WDR bei Wikimedia Commons„Nâz­im Hik­met gilt als Begrün­der der mod­er­nen türkischen Lyrik. Der Dichter und Sozial­ist prägt im 20. Jahrhun­dert die Lit­er­atur in der Türkei – trotz Ver­fol­gung, Pub­lika­tionsver­bot und Exil.
Seinen Traum vom freien Leben in Sol­i­dar­ität fasst Nâz­im Hik­met 1947 in drei mit­tler­weile welt­berühmten Zeilen zusam­men: „Leben! Einzeln und frei wie ein Baum / Und brüder­lich wie ein Wald, / das ist unsere Sehn­sucht.“ (Auszug aus Nâz­im Hik­mets Gedicht „Dav­et“ („Die Ein­ladung“))
In seinen Schriften kämpft der türkische Schrift­steller und Lyrik­er für bedin­gungslose Liebe und soziale Gerechtigkeit. Er nimmt dabei den Blick von unten ein: In den 1920er-Jahren hat er in Ana­tolien die Armut der türkischen Land­bevölkerung ken­nen­gel­ernt. Diese Men­schen wer­den später in Werken wie „Sche­ich Bedred­din“ und „Men­schen­land­schaften“ verewigt. Seine Helden seien „wed­er Gen­eräle noch Sul­tane“, son­dern „Arbeit­er, Bauern und Handw­erk­er“, notiert Hik­met.

Fasziniert von der Okto­ber­rev­o­lu­tion
Hik­met selb­st stammt aus bil­dungs­bürg­er­lichen Ver­hält­nis­sen. Er wird am 15. Jan­u­ar 1902 in Thes­sa­loni­ki geboren, das damals noch zum Osman­is­chen Reich gehört. Die ersten Jahre ver­bringt er bei seinem Groß­vater in Istan­bul, einem ein­flussre­ichen Aris­tokrat­en. Der Vater ist Beamter des Außen­min­is­teri­ums, die Mut­ter ist eine in Paris aus­ge­bildete Malerin.
Als Nâz­im fünf Jahre alt ist, ziehen auch seine Eltern aus dem Osten der Türkei nach Istan­bul. Die poli­tis­chen und kul­turellen Kon­tak­te der Fam­i­lie sor­gen für reich­lich intellek­tuelle Anre­gun­gen, sodass Nâz­im bere­its mit elf Jahren erste Gedichte schreibt. 1917 besucht er auf Wun­sch des Vaters eine Marineakademie in Istan­bul. Er bricht die Offizier­slauf­bahn jedoch ab, weil die Okto­ber­rev­o­lu­tion in Rus­s­land ihn fasziniert.

In Moskau studiert
Im Ersten Weltkrieg kämpft das Osman­is­che Reich an der Seite Deutsch­lands und gehört zu den Ver­lier­ern. In Ana­tolien formiert sich Wider­stand gegen die siegre­ichen Alli­ierten. Hik­met schließt sich 1918 den Befreiungskampf an, der von den zukün­fti­gen Begrün­dern der Türkei geführt wird.
1922 reist er für drei Jahre nach Moskau, studiert Sozi­olo­gie und Kun­st­geschichte. Er erhält Kon­takt zu den sow­jetis­chen Futur­is­ten und wird beson­ders durch den Dichter Wladimir Majakows­ki und den The­ater­regis­seur Wse­wolod Emil­je­w­itsch Mey­er­hold bee­in­flusst.

Immer wieder inhaftiert
1924, ein Jahr nach Atatürks Repub­lik­grün­dung, kehrt Hik­met nach Istan­bul zurück. Er veröf­fentlicht drei Gedicht­bände und wird Mit­glied der – in sein­er Heimat ver­bote­nen – Kom­mu­nis­tis­chen Partei. Wegen der Mitar­beit an ein­er linksori­en­tierten Zeitschrift wer­den auch seine Werke ver­boten. Hik­met, der in seinen Schriften den auf­steigen­den Faschis­mus in Europa kri­tisiert, wird immer wieder inhaftiert.
1938 wird er in einem Schauprozess zu 28 Jahren Gefäng­nis verurteilt. Dort erteilt er Mit­ge­fan­genen Unter­richt in Ökonomie und Poli­tik. Hik­met über­set­zt unter Pseu­do­nym mehrere Klas­sik­er, darunter auch Leo Tol­stois „Krieg und Frieden“. Er ver­fasst aber auch eigene Werke und Gedichte.

Nach Hunger­streik beg­nadigt
Ende der 1940er-Jahre ver­schlechtert sich Hik­mets Gesund­heit­szu­s­tand drama­tisch. 1950 tritt der Schrift­steller in den Hunger­streik. Eine inter­na­tionale Kam­pagne fordert seine Freilas­sung. Die Peti­tion an den türkischen Staat­spräsi­den­ten wird unter anderem von Bertolt Brecht, Jean-Paul Sartre, Pablo Picas­so und Pablo Neru­da unterze­ich­net.
Noch im sel­ben Jahr wird Hik­met beg­nadigt. Als der 49-Jährige jedoch zum Mil­itär­di­enst ein­berufen wird, flieht er nach Moskau. Die Türkei bürg­ert ihn daraufhin aus. Seine anfängliche Begeis­terung für die Sow­je­tu­nion schwindet allerd­ings. Im satirischen The­ater­stück „Iwan Iwanow­itsch“ rech­net er mit dem Stal­in­is­mus ab.

Paris als geistiger Zuflucht­sort
In seinen let­zten Jahren reist Hik­met viel. Er ist unter anderem in Ital­ien, Deutsch­land, Chi­na und Afri­ka unter­wegs. Auf Kuba schreibt er seine berühmte Havan­na-Reportage. In Paris – sein geistiger Zuflucht­sort – trifft der Dichter neben Wis­senschaftlern und Kün­stlern auch Fre­unde wie den exilierten türkischen Maler Abidin Dino.
Am 3. Juni 1963 will Nâz­im Hik­met in seinem Moskauer Exil die Zeitun­gen aus dem Briefkas­ten holen. Dabei stirbt der 61-Jährige an einem Herz­in­farkt. Er wird auf dem Nowode­witschi Fried­hof in Moskau beerdigt. Seine Werke, die in 60 Sprachen über­set­zt wer­den, bleiben in der Türkei noch bis in die 1990er-Jahre ver­boten. 2009 erhält der Ver­stor­bene posthum auch die türkische Staats­bürg­er­schaft zurück.
(WDR, Mela­hat Sim­sek, Gesa Rünker)

Sie kön­nen die Sendung, die am 3.6.2023 in der Rei­he „ZeitZe­ichen“ lief, über die Seite des WDR nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden.

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