Permalink

0

WDR ZeitZeichen zu René Daumal

Logo WDR bei Wikimedia Commons

16. März 1908 – Der Schriftsteller René Daumal wird geboren

Sein Leben ist eine einzige Sinnsuche. Dabei lässt sich der Schrift­steller René Dau­mal auch auf Dro­gen, Eso­terik und östliche Kul­turen ein. Sein Werk gipfelt im unvol­len­de­ter Roman „Der Berg Ana­log“.

„Der Gedanke, dass viele Men­schen ihr ganzes Leben eigentlich schlafen, zieht sich wie ein rot­er Faden durch seine Arbeit“, sagt die Lit­er­atur­wis­senschaft­lerin Bieke Willems von der Uni­ver­sität Köln über den Fran­zosen René Dau­mal. „Er sucht stets nach Wegen, um im Laufe des Lebens aufzuwachen.“ Auf der Suche ist der am 16. März 1908 in den Arden­nen geborene Schrift­steller schon als Jugendlich­er.

In Reims grün­det Dau­mal 1922 mit drei anderen Gym­nasi­as­ten die Brud­er­schaft der „Sim­plis­ten“. Inspiri­ert hat sie dazu ein Lehrer mit sein­er Ermah­nung, sich vor allzu sim­plen Erk­lärun­gen zu hüten. „Exper­i­mentelle Meta­physik“ nen­nen die vier ihre Selb­stver­suche mit soge­nan­nten Entrück­ungszustän­den. Um psy­chis­che und physis­che Gren­z­er­fahrun­gen zu machen, exper­i­men­tieren sie unter anderem mit Schlafentzug, Hyp­nose, Haschisch, Lach­gas und Opi­um.

Rebellisch gegenüber der Gesellschaft

Dau­mal geht am weitesten: Unter Beobach­tung sein­er Fre­unde will er Nah­toder­fahrun­gen machen. Dafür set­zt er die giftige Flüs­sigkeit Tetra­chlormethan ein, die er als Schmetter­lingssamm­ler ver­wen­det. In seinem Schreib­heft notiert er: „Was uns von Heili­gen unter­schei­det, ist unser Vergnü­gen, an den Rän­dern der Hölle umherzus­treifen. Wir führen uns selb­st in Ver­suchung.“

Mit 20 Jahren grün­det Dau­mal 1928 in Paris mit Fre­un­den die Zeitschrift „Le Grand Jeu“ („Das große Spiel“). Die einzige Regel für die Redak­tion ist der „Dog­men-Bruch“, die Tra­di­tion des Nein. Zu den Bewun­der­ern des Hochbe­gabten gehört der Sur­re­al­ist André Bre­ton. Doch das umwor­bene Jung­tal­ent reagiert ablehnend. Dau­mal will seine Zeitschrift vor Bevor­mundung schützen.

Streben nach metaphysischer Befreiung

Die Grund­vo­raus­set­zung für Erken­nt­nis sieht Dau­mal in „ein­er Gemein­schaft von Men­schen, die ein und dieselbe Suche verbindet“. Es gehe um gemein­sames Han­deln. „Lit­er­atur und Kun­st sind für uns bloße Mit­tel.“ Doch die Gemein­schaft der Jugend­fre­und zer­bricht, auch die Redak­tion von „Le Grand Jeu“.

Anfang der 1930er-Jahre begeg­net Dau­mal einem Ver­traut­en des griechisch-armenis­chen Eso­terik­ers Georges I. Gur­d­ji­eff. Dieser propagiert den spir­ituellen „Vierten Weg“: eine Arbeit am Selb­st, an den eige­nen Poten­zialen. Dau­mal ist davon fasziniert. Er hält die östlichen Kul­turen für eine Möglichkeit, ein­er meta­ph­ysis­chen Befreiung näher zu kom­men. Bere­its mit 17 Jahren hat er San­skrit gel­ernt und indis­che Schriften über­set­zt.

Zwischen „großem Besäufnis“ und „Gegenhimmel“

Dau­mal reist in die USA, um als Press­esprech­er für einen indis­chen Tänz­er und seine Truppe zu arbeit­en. Auf der Rück­fahrt schreibt er vier Monate später die erste Ver­sion seines Buch­es „Das große Besäuf­nis“. Darin rech­net er nicht nur satirisch mit seinen ehe­ma­li­gen Mit­stre­it­ern ab, son­dern auch mit dem Kun­st- und Wis­senschafts­be­trieb der 1930er-Jahre.

Seinen ersten lit­er­arischen Erfolg hat Dau­mal mit dem Gedicht­band „Con­tre-Ciel“ („Gegen­him­mel“), für den er 1936 mit einem Preis aus­geze­ich­net wird. Im Alter von 30 Jahren entwirft Dau­mal das utopis­che Gegen­stück zum „großen Besäuf­nis“. Nach dem Absturz will er den Auf­stieg beschreiben.

„Der Berg Analog“ bleibt Fragment

Doch sein Elan wird gebremst: erst durch eine Tuberku­lose-Diag­nose, dann durch den Über­fall der Wehrma­cht auf Frankre­ich. Mit sein­er jüdis­chen Fre­undin Vera flieht er in die noch unbe­set­zte Süd­zone des Lan­des. Dort schreibt er an ein­er Erzäh­lung von Men­schen, „die begrif­f­en haben, dass sie in einem Gefäng­nis leben“. Die Gruppe macht sich im Gebirge auf die Suche nach ein­er „höheren Men­schheit“, bei der sie „die notwendi­ge Hil­fe“ erhält.

„Der Berg Ana­log“ ist ein „alpin­is­tis­ch­er Aben­teuer­ro­man“, der jedoch Frag­ment bleibt. Er endet nach gut 100 Seit­en mit­ten im Satz. René Dau­mal stirbt im Mai 1944 mit 36 Jahren an sein­er Krankheit – wenige Monate vor der Befreiung von Paris. Heute ist das Buch vor allem in Frankre­ich und den USA Kult – wohl auch wegen des prophetis­chen Hin­weis­es auf den let­zten Seit­en, dass es katas­trophale Auswirkun­gen haben könne, wenn der Men­sch ins Gle­ichgewicht der Natur ein­greife.

(WDR, Christoph Vormweg, David Rother)

Sie kön­nen die Sendung, die am 16.3.2023 in der Rei­he „ZeitZe­ichen“ lief, über die Seite des WDR nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.