„„Warten auf Godot“ ist ein geflügeltes Wort – und der Titel des gleichnamigen Theaterstücks von Samuel Beckett. Er landet damit einen Welterfolg. Obwohl das Thema unangenehm ist.
Zwei abgerissene Kerle gehen einander auf die Nerven – auch dem Publikum. Gegenseitig nennen sie sich Gogo und Didi. Im Textbuch stehen die Namen Wladimir und Estragon. Ob es Gauner, Clowns oder vielleicht Landstreicher sind, wo sie herkommen, wohin sie wollen – alles unklar.
Der irische Autor Samuel Beckett, der seit Jahren in Frankreich lebt und inzwischen Französisch schreibt, lässt die beiden Hauptfiguren warten. Sein Theaterstück heißt „En Attendant Godot“, auf deutsch: „Warten auf Godot“. In welcher Zeit die beiden Akte angesiedelt sind, ist offen. Wer Godot ist, wird nicht erklärt: „Wenn ich wüsste, wer Godot ist, hätte ich es in mein Stück hineingeschrieben.“ (Samuel Beckett)
Ungewisses Warten auf das Kriegsende
Qualvolles Warten kennt Beckett: Während des Zweiten Weltkrieges ist er vor den deutschen Besatzern in den Süden Frankreichs geflüchtet. In Roussillon, das nicht von der Wehrmacht besetzt gewesen ist, hat er zusammen mit seiner Freundin Suzanne Déchevaux in der Landwirtschaft gearbeitet. Und ungeduldig darauf gewartet, dass der Krieg zu Ende geht.
Als es endlich soweit ist, kehren die beiden zurück nach Paris in ihre alte Wohnung. Sie finden alles so vor, wie sie es verlassen haben. Beckett vollendet nach seiner Rückkehr in kurzer Zeit drei Roman-Manuskripte. Dann schreibt er das Theaterstück „Warten auf Godot“. Einem Besucher erzählt er später: „Das hat sich so zwischen Hand und Blatt ergeben.“
Bald auf der ganzen Welt gespielt
Angeregt dazu hat Beckett ein Gemälde von Caspar David Friedrich: Zwei Spaziergänger, vom Betrachter abgewandt, vertiefen sich in den Anblick des Mondes. Er hatte das Bild während einer Deutschlandreise in den 1930er-Jahren gesehen. Seine Lebensgefährtin kümmert sich um die Vermarktung des Manuskripts. Sie schafft es, den Regisseur Roger Blin für „Godot“ zu interessieren.
In einem kleinen Theater in Paris wird Becketts Stück am 5. Januar 1953 uraufgeführt. Das Publikum reagiert irritiert und fasziniert zugleich. Das Rätsel um „Godot“ wird zum Stadtgespräch, der Titel zum geflügelten Wort. Innerhalb weniger Monate bewerben sich auch ausländische Theater um die Aufführungsrechte. „Godot“ wird bald auf der ganzen Welt gespielt.
„Durch die Form einen Ausweg finden“
Das Urteil der Kritiker ist tastend und vorsichtig. Alle spüren, dass etwas dran ist an diesem Stück. Aber was? Die Deutungen sind schier uferlos: psychoanalytisch, marxistisch, soziologisch, christlich, existenzialistisch. Beckett selbst reagiert darauf zurückhaltend: „Sie legen mir allzu gewichtige Dinge in den Mund.“ Auf die Frage, warum sein Stück zwei Akte habe, antwortet Beckett, ein Akt sei zu kurz, drei Akte seien zu lang.
Nicht aufhören zu können, auf einen zu warten, der nicht kommt — das ist grotesk, tragisch, komisch. Beckett wird deshalb zum Erfinder des absurden Theaters ernannt. Doch er lehnt diesen Titel für sich ab. Ihn interessiert die Form. Eine Antwort auf die drängenden Fragen der Menschheit könne die Kunst nicht geben. „Der Künstler aber kann paradoxerweise gerade durch die Form einen Ausweg finden, indem er das Formlose formt.“ Vielleicht liege auf dieser Ebene eine tiefere Aussage.“
(WDR, Monika Buschey, David Rother)
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